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Gáspár Miklós Tamás:
Konterrevolution gegen eine Konterrevolution

Übersetzt von Gerold Wallner

Anders als die revolutionären Aufstände von 1953, 1956, 1968 und 1981 (also von Ostberlin, Budapest, Prag und Danzig) verkündete der osteuropäische Regimewechsel von 1989 keinen besseren und reineren Sozialismus, Arbeiterräte, Selbstverwaltung oder wenigstens höhere Löhne für Proletarier. Er wurde als Wiederherstellung von „Normalität“, historischer Kontinuität und als die Restauration eines dreifachen Schibboleths[1] – parlamentarische Demokratie, „Markt“ und eine bedingungslose Unterwerfung gegenüber dem „Westen“ – aufgefasst.

Wie ich schon früher[2] gezeigt habe, ist diese Idee von Kontinuität eine Fata Morgana. Kein derartiges System war vorher in Osteuropa existent, nur eine rückständige agrarische Gesellschaft, die auf wackeligem Großgrundbesitz beruhte, eine autoritäre politische Ordnung, angeführt von der Offiziersschicht, die sich aus dem verarmten Adel rekrutierte und coups d’état nicht abgeneigt war, und ein öffentliches und intellektuelles Leben, das von bitterer Gegnerschaft zu einem als feindlichen vorgestellten „Westen“ dominiert war. Elemente von Modernität, so es sie gab, waren in späterer Folge von leninistischen Planern und Modernisierern eingeführt worden, die im Stande gewesen waren, Mobilität, Urbanisierung, Säkularisierung, Industrialisierung, Unterrichtung in Schreiben und Rechnen, Hygiene, Infrastruktur, Kleinfamilie, Arbeitsdisziplin und den ganzen Rest der Gesellschaft aufzuerlegen, wofür sie einen hohen Preis an Blut, Leid, Knappheit, Tyrannei und Zensur einforderten.

Das also waren die Fundamente, auf denen der neue Marktkapitalismus und die pluralistische Demokratie gründete: nicht die Wiederentdeckung einer unechten liberalen Vergangenheit, sondern ihre erstmalige Einführung durch Dekret. Es war ein höchst populäres Dekret für den Teil der Bevölkerung (wovon auch ich ein begeistertes und aktives Mitglied war), der an Aufmärschen, Zusammenkünften und Versammlungen teilnahm – ganz zu schweigen von Schwindel und Rosstäuscherei, die auch in utopischer Politik unvermeidlich sind –und der zu dieser Zeit „das Volk“ zu sein schien, aber bestenfalls fünf Prozent des aktuellen, empirischen dēmos ausmachte. Dennoch erschienen denjenigen von uns, die aus den dunklen Klausuren weniger Dutzend von Dissidenten ins Licht traten, einige Hunderttausende als „die Massen“. Diese – zersprengte – Minderheit verfügte über eine politische Haltung und eine Weltsicht, die eine Mischung aus 1848 und 1968 darstellte: einen fröhlichen demokratischen Nationalismus und konstitutionellen Liberalismus vermischt mit Abscheu vor Autorität, (kultureller und sexueller) Repression, Disziplin und Puritanismus. Diese flüchtigen ideologischen Phänomene, die uns damals so tiefgründig, einnehmend und fest zu sein schienen, spiegelten einen Stand der Dinge wider, den nahezu alle Beobachter nur sehr zögernd verstehen und noch zögerlicher verständlich beschreiben sollten[3].

Weder die linke Neigung der meisten dissidenten KritikerInnen noch das libertäre 68er-Gefühl einiger 1989er wurde ausreichend erklärt. Selbst die alleroffensichtlichsten historischen Vergleiche wurden nicht gezogen. Was ich am sonderbarsten finde, ist, dass der zeitliche Zusammenfall der Krise des Wohlfahrtsstaats – im Osten wie im Westen – auf kein Interesse stieß. Historische und politische Phantasie wurde durch die gedankenlose Annahme der Behauptung, Regimes des Ostblocks müssten (in irgendeinem, schwer fassbaren Sinn) „sozialistisch“ gewesen sein, gelähmt, da das ja das ist, was sie von sich behaupteten und, was noch wichtiger ist, das war, weswegen sie von den großen Mächten unterschiedlicher Schattierungen des Westens unnachgiebig bekämpft wurden.

Hiezu sind einige Präzisierungen angebracht.

Ich denke nicht, dass irgendein Zweifel daran bestehen kann, dass der „real existierende Sozialismus“ ein Staatskapitalismus besonderer Art war.[4] Es handelte sich um ein System mit Warenproduktion, Lohnarbeit, gesellschaftlicher Arbeitsteilung, realer Subsumption der Arbeit unter das Kapital und die Erfordernisse der Kapitalakkumulation, mit Klassenherrschaft, Ausbeutung, Unterdrückung, erzwungener Konformität, Hierarchie und Ungleichheit, unbezahlter Hausarbeit und mit einem absoluten Verbot von Arbeiterprotesten (alle Streiks waren illegal), ganz zu schweigen vom allgemeinen Verbot politischer Äußerung. Das einzige Problem dabei ist natürlich das Fehlen von Regulierung durch den Markt und deren Ersetzung durch Staatsplanung. Der Begriff „Privateigentum“ ist hier irreführend, da sich sein Inhalt, wenn er nämlich die Trennung des Proletariats von den Produktionsmitteln bedeutet, ebenso auf Staatseigentum bezieht, auch wenn wir nicht versuchen sollten, die beträchtlichen Unterschiede zwischen beiden Formen kleinzureden.[5] Wenn Eigentum Kontrolle bedeutet (und juristisch betrachtet ist es Kontrolle), ist Staatseigentum Privateigentum in diesem Sinn: Niemand kann behaupten, dass unter den Ostblockregimes die Arbeiter Produktion, Verteilung, Investition und Verbrauch kontrolliert hätten.[6]

Ebensowenig kann daran gezweifelt werden, dass der Staatskapitalismus nach Stalin im Ostblock und in Jugoslawien (grob gesprochen von 1956 bis 1989) den Versuch unternommen hatte, einen eigenen autoritären Wohlfahrtsstaat zu gründen mit Problemen, die in jedem Wohlfahrtsstaat im Westen ähnliche sind – und ihm wohl auch immanent, sei es nun die sozialdemokratische, christdemokratische, gaullistische Spielart oder – was dies betrifft – die des New Deal. (Ich behandle hier jetzt nicht die Züge von kapitalistischer Wohlfahrtsstaatlichkeit unter faschistischen und im Naziregime, auch wenn das hierher passen würde.[7])

Die gesellschaftliche Absicht jedes Wohlfahrtsstaats – unter Einschluss des nachstalinistischen „real existierenden Sozialismus“ mit dem geschlossenen GULAG – war (wir können hier ruhig die Vergangenheitsform verwenden) der Versuch, den Konsum durch antizyklische Nachfragegestaltung zu unterstützen, die rebellische Arbeiterklasse durch leistbare Mieten, öffentlichen Verkehr, Erziehung und Gesundheitsfürsorge einzuschließen und zu integrieren, einen dopolavoro[8] zu schaffen (eine Idee Mussolinis, die schon von Verfechtern des New Deal sehr geschätzt wurde, die aber klarerweise auch im stalinistischen Russland der 30er Jahre weite Verbreitung gefunden hatte), angefüllt mit bezahltem Urlaub, Massentourismus, billiger volkstümlicher Unterhaltung, nicht zu teurer Kleidermode und dem Automobil. „The Merry Kids“, ein Sowjet-Musical aus den 30er Jahren mit den Jungen Pionieren (der größte russische Bühnenerfolg überhaupt), ist in seiner unerträglichen Fröhlichkeit nicht zu unterscheiden von der imbezil grinsenden Produktion Hollywoods oder der UEFA-Studios des Dritten Reichs, vielleicht mit etwas weniger Gewicht auf Frivolitäten und Mädchenbeine. Zur gleichen Zeit gab es im „sozialistischen“ Osteuropa auch einiges, das eher an südostasiatische korporatistische Wohlfahrtsmethoden erinnerte – Urlaubscamps und Ferienhotels, die dem Betrieb gehören, üblicherweise gratis für die Mitarbeiter und von den Gewerkschaften (und der Zugang zu ihnen war ein Grundrecht aller Bürger) geführt wurden, freie Kinderkrippen und Kindergärten für den Nachwuchs der Arbeitskraft – und einiges, das von der europäischen Sozialdemokratie ererbt schien, aber nun verpflichtend und allgemein war wie gut bestückte Leihbibliotheken, Billigpreis-Buchläden in jedem Unternehmen, erschwingliche gute Literatur, Theater- und Kinokarten (darüber hinaus konnten Bücher und Karten, die über die Gewerkschaft bestellt wurden, um die Hälfte des ohnehin gestützten Preises bezogen werden), positive Diskriminierung zu Gunsten der Kinder der Arbeiterklasse bei der Zulassung zur höheren Erziehung und Ausbildung, Sicherheit des Arbeitsplatzes, billige Grundnahrungsmittel, billige Kulturdrogen wie Alkohol und Tabak, billige und reichlich vorhandene öffentliche Verkehrsmittel, leichter Zugang zu Massen- und Spitzensport, zu Vereinen und Veranstaltungen. Das Fehlen von offensichtlichem Reichtum der herrschenden Klasse, abgesehen vom zur Schau gestelltem Luxus, gemeinsam mit häufig auftretenden Knappheiten und einer sehr eingeschränkten Auswahl für die Konsumenten, in Verbindung mit sexuellem Puritanismus, langen Militärdienstzeiten, dem Kult ehrlicher Arbeit ( „Popular Mechanics“[9] und Raumflugbegeisterung für die Jugend) und einer unablässigen Propaganda, die den plebejischen und „kollektivistischen“ Charakter des Regimes betonte, wo alle wussten, was mit einem Werkzeugkoffer, einer Hacke oder einer Heugabel zu tun war, erzeugte eine Atmosphäre von Gleichheit.

Eine Atmosphäre, eine Stimmung, ja, aber ebenso eine Wirklichkeit unvergleichlich größerer Gleichheit als heute. Nationalstaaten im „real existierenden Sozialismus“ unterdrückten ethnische Minderheiten – außerhalb Russlands vor allem nach Stalins Tod (und Verlust des Einflusses) – und boten dafür Assimilation (Lehrfilme für ungarische Sozialarbeiter und lokale Verwaltungsbeamte der frühen 60er Jahre zeigen Zwangsbäder, Haarschnitte und Entlausungen für vazierende Roma-Familien, die vom Personal der Polizei und der Militärspitäler durchgeführt wurden, zusammen mit Szenen infernalischer Erniedrigung und gekünsteltem Grinsen in die Kamera) mit dem Versprechen von „Eintracht“ und „Harmonie“ und dem Ende Generationen überdauernder kultureller Konflikte. Der Transfer bäuerlicher Bevölkerungen in Industriestädte war, anders als im 19. Jahrhundert, relativ gut organisiert worden: Bis in die 70er Jahre, als die Mittel zu versiegen begonnen hatten, wurden sie in Hochhaus-Wohnsiedlungen verbracht und sofort mit dem gesamten Angebot selbstverständlicher und allgemeiner Fürsorge beglückt inklusive Gesundheits- und Kultureinrichtungen. Es gibt Länder wie Rumänien oder die frühere Tschechoslowakei, wo die Mehrheit der Stadtbevölkerung noch immer in den – nun zerfallenden – Plattenbauten der „kommunistischen“ Zeit lebt.[10]

Zweifellos waren diese Gesellschaften unerträglich autoritär, repressiv und unterdrückt, aber wir fangen gerade an zu sehen, wie gut integriert, voll Zusammenhalt, friedlich ohne Kriminalität, mit funktionierenden Institutionen sie waren, ein kleinbürgerlicher Traum zwar, aber trotzdem ein Traum. Auch vertikale soziale Mobilität, also gesellschaftlicher Aufstieg war schnell und selbstverständlich möglich und – wir sprechen von ursprünglich rückständigen, bäuerlichen Gesellschaften – der Wechsel vom Dorf in die Stadt, von zermürbender Knochenarbeit auf den Äckern zu technisierter Beschäftigung in der Fabrik, von Hunger, Schmutz und Armut zu anständigem Kantinenessen, heißem Wasser und sanitären Anschlüssen in der Wohnung war atemberaubend  - der kulturelle Wandel dramatisch. Die Reise vom Analphabetismus und der Unkenntnis der Uhr zu Brecht und Bartók war erstaunlich kurz. (Übrigens ist es erhellend zu sehen, wie institutionalisiert kulturelle Bedürfnisse sein können – wie ein halber Kontinent innerhalb einiger Jahre aufhörte, ernsthafte Literatur zu lesen und klassische Musik zu hören, da die sozialen und ideologischen Umstände solche Aktivitäten nicht mehr bedeutsam noch leicht machten: Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so.[11] [12])

Nach dem Regimewechsel von 1989 (in dem der Autor dieser Zeilen eine gewisse Rolle in der Öffentlichkeit spielte, worüber er in der Rückschau gemischte Gefühle hat) brachte die damit einhergehende Vernichtung des „Staatseigentums“ durch Privatisierung zu Weltmarktpreisen, Asset-stripping[13], Outsourcing, Management By-outs (Unternehmen werden der Reihe nach von multinationalen Konzernen aufgekauft und geschlossen, um die Konkurrenz zu mindern und neue Verbrauchermärkte zu schaffen) unerhörte Preissteigerungen, den Absturz der Reallöhne und des Lebensstandards mit massiver Arbeitslosigkeit. Marktliberalisierung bedeutete, dass die bisher geschützte, gestützte, technologisch rückständige lokale Industrie dem enormen Wettbewerb auch auf kleinen Märkten nicht standhalten konnte, was zum Kollaps des lokalen Handels führte, der Dumping und ähnlichen Verfahren nichts entgegen setzen konnte. Fast die Hälfte aller Arbeitsplätze ging verloren. Das wirklich spürbare Frohlocken über pluralistischen politischen Wettstreit und die ungeheuer angewachsene Freiheit des Ausdrucks wurde durch Verarmung und Mangel an Sicherheit, begleitet von der immer mehr zunehmenden Herrschaft von kommerzieller Pop-Kultur, Werbung, Boulevardpresse und Trash gedämpft. Was zunächst als farbenfroh wahrgenommen wurde, stellte sich eher als aufgeputzt heraus und verlor seinen ursprünglichen Charme, je mehr es ausbleichte.

All das wurde von der unglücklichen osteuropäischen Bevölkerung als unbestreitbare und unfassbare Katastrophe betrachtet. Die vorhandenen politischen Gruppierungen, die noch von etwas kritischem Gefühl beseelt waren, waren die, die das frühere Regime bekämpft und die liberale Agenda der Epoche nach dem zweiten Weltkrieg betrieben hatten – freie Meinungsäußerung, Verfassung, Recht auf Abtreibung, Rechte für Schwule, Antirassismus, Antiklerikalismus, Antinationalismus, sicherlich Anliegen, für die zu kämpfen wohl wert ist, was aber für große Bevölkerungsklassen, die sich andernorts engagieren, verstörend wirkt–, ohne zu berücksichtigen, was da an weit verbreiteter Armut, an sozialem und kulturellem Chaos in Gang gesetzt worden war. Diese Gruppierungen verknüpften den „Menschenrechte“-Diskurs der liberalen Linken mit der „Freie-Wahl“-Rhetorik der neokonservativen Rechten (und sie tun dies 18 Jahre später noch immer) und betrachteten die Privatisierung als Bresche im allmächtigen Staat, der, mit der Waffe der Redistribution gerüstet, als der Feind gesehen wurde, den es zu schlagen galt, die „Kultur der Abhängigkeit“ als der ideologische Gegenspieler, der die Untertanen des „Sozialstaats“[14] daran hinderte, freiheitsliebende, aufrechte autonome Bürger zu werden. Ich erinnere mich – ich war Abgeordneter im ungarischen Parlament von 1990 bis 1994 –, dass wir die Frage des Wappens der Republik fünf Monate lang diskutierten (mit oder ohne die Hilige Stephanskrone; die „Mit“-Partei hat gewonnen), während es keine signifikante Debatte über die Arbeitslosigkeit gab, obwohl sich in einem kleinen Land mit zehn Millionen Einwohnern zwei Millionen Arbeitsplätze in Luft aufgelöst hatten.

Die Aufgabe einer sozialstaatlichen Nachhut ging auf politische Kräfte über, die als jenseits aller Diskussion angesehen wurden. In Ländern, wo es eine offizielle Diskriminierung gegenüber Amtsträgern des „kommunistischen“ Apparats gab und wo die Angehörigen der früher regierenden Partei aus Gründen des Selbstschutzes und um verletzten Stolz zu pflegen zusammenhalten mussten, wie in Deutschland und der Tschechischen Republik, oblag sie der so genannten „postkommunistischen Linken“, und was den Rest betrifft, fiel sie in der Regel extrem nationalistischen und „christlichen“ Parteien zu. Da es eine gewisse personelle Kontinuität in Bezug auf den reformistischen, marktorientierten Flügel der herrschenden „kommunistischen“ Parteien (und ihrer Experten und Berater in Universitäten, Forschungsstätten und Staatsbanken) gab, die zur richtigen Zeit am richtigen Ort recht hübsch von den Privatisierungen profitierten, gab es auch eine oberflächliche Plausibilität für die populistische Theorie, der zufolge „sich nichts geändert hat“; dies alles sei nur eine Verschwörung, um das Regime der diskreditierten herrschenden Klasse zu verlängern. Die Wahrheit in diesem Fall ist aber klarerweise, dass die Veränderungen so gigantisch waren, dass nur eine kleine Gruppe der Nomenklatura imstande war, sich selbst in kapitalistische Geschäftemacher zu verwandeln. Die Gewinner waren letztlich niemand auf lokaler Ebene, sondern multinationale Konzerne, die US-amerikanisch geführte militärische Allianz und die EU-Bürokratie.

Nichtsdestoweniger ist da ein Funken Wahrheit in dieser populistischen Theorie, nämlich der Verdacht, dass der Unterschied zwischen geplantem Staatskapitalismus (alias „real existierender Sozialismus“) und liberalem Marktkapitalismus nicht so erheblich sein dürfte, wie es 1989 feierlich hinausposaunt wurde. Populistische Theorien als moderne Sagen formuliert können und sollen – wiewohl verständlich – nicht die Analyse ersetzen. Sie haben jedoch politische Bedeutung vor allem deswegen, weil viele Nachfolgeparteien der früheren „kommunistischen“ Organisationen mit dem neokonservativen Evangelium werben (Der Begriff „neoliberal“ ist irgendwie irreführend: Die heutigen Radikalkapitalisten und Marktfundamentalisten sind keine Liberalen, wie sehr man auch die Phantasie bemühen mag.) und die letzten Überbleibsel des Wohlfahrtsstaats abbauen. Von daher rührt die seltsame Identifizierung von „Kommunisten“ mit „Kapitalisten“ in einigen osteuropäischen Ländern – schließlich sind es ja häufig frühere „Kommunisten“, die uns das antun. Es ist immer dieselbe Bande an der Spitze, die demokratische Transformation war ein aufgelegter Schwindel, das alles ist eine jüdisch-bolschewistische Intrige und so weiter und so fort.

Nun ist zwar die Identifizierung von Sozialismus und Kapitalismus ein altbekanntes Naziklischee – beide sind „rassisch fremd“ –, aber „die Umstände, die sind nicht so“, ja sie könnten gar nicht unterschiedlicher sein. Jedenfalls waren Kommunisten und Sozialdemokraten in den 20er und 30er Jahren vereint und unnachgiebig in ihrem falschen Bewusstsein in Bezug auf die Notwendigkeit der Opposition gegen Kapitalismus und Tyrannei. Falsches Bewusstsein schließt Ehrlichkeit nicht aus. Die exkommunistischen Parteien am Beginn des 21. Jahrhunderts stehen in Opposition nicht nur zum Sozialismus, sondern zu den meisten elementaren Interessen der Arbeiterklasse. Das ist nichts Neues und es ist auch nicht auf Osteuropa beschränkt. (Wenn ich von Osteuropa spreche, denke ich dem Vorbild von General de Gaulle entsprechend immer den europäischen Teil der ehemaligen Sowjetunion mit.) Jedenfalls haben die Kommunistische Partei Italiens und ihr Führer, Enrico Berlinguer, eine Austeritätspolitik verlangt und es zur Pflicht des Proletariats erklärt, da einzuwilligen, und das zwei Jahre bevor Margaret Thatcher an die Macht kam[15]. (Der rechte Flügel der ehemaligen PCI, die DS, schlägt nun eine Fusion mit ihrem 60-jährigen Feind, den Christdemokraten, vor …) So drückt dieses Klischee, ohne deswegen richtiger zu werden, fairere und gerechte historische Vergeltung aus.

Das also sind die Gründe, warum und wie die neokonservative Konterrevolution auf Formen von Widerstand trifft, die in die Begriffe der nationalistischen und militaristischen Rechten der Vorkriegsära eingelagert sind, oft vermischt mit offen faschistischer Rhetorik und den entsprechenden Symbolen und, im Falle der ehemaligen Sowjetunion, mit extremem Eklektizismus im Versuch, Stalinismus und Faschismus zusammenzuführen. (Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation, die stärkste Kraft der Opposition in Russland, wird von den verrückten Ideologien der weißen Garden beflügelt, die den politischen Braintrust des Generalstabs von Admiral Koltschak[16] und von Baron Wrangel[17] darstellten.) Hier herrscht eine große Bandbreite an politischen Lösungen. Nach der Niederlage des „neoliberalen“ oder neokonservativen Regims des exkommunistischen Präsidenten Kwaśniewski ist die Vorstellung der ultrakatholischen Kaczyński-Zwillinge, wie lächerlich sie anfangs auch erschienen sein mochte, recht erfolgreich[18] und konsolidiert sich, wobei sie extremen sozialen Konservativismus, antischwule, antifeministische, minderheitenfeindliche, antirussische, antideutsche, antisemitische und über allem antikommunistische Gefühle mit monetaristischer Orthodoxie, militärischem Eifer zur Unterstützung Bushs, Verfolgung all dessen was links ist (sie haben die Pensionszahlungen an die wenigen noch lebenden Veteranen der Interbrigaden aus dem Spanischen Bürgerkrieg in den 30er-Jahren eingestellt), Zensur und wüster rassistischer Propaganda verbindet. In der Slowakei ist die Regierung des linken Sozialdemokraten Robert Fico an der Macht, eine Koalition seiner eigenen Partei mit den Nationalisten Wladimir Mečiars und der quasi faschistischen Nationalpartei, geführt vom notorischen Alkoholiker und Prahlhans Ján Slota. Fico hatte die Kühnheit, Pensionen zu erhöhen, die Tarife für die öffentlichen Verkehrsmittel zu kürzen, den Abbau der staatlichen, im Wesentlichen kostenlosen medizinischen Versorgung und der Schulen zu stoppen. Es ist eine ungeheuer populäre Regierung und dies umso mehr, als sie ihren scharfen antitschechischen und antiungarischen Nationalismus mit prorussischen Neigungen verbindet.

In Ungarn kehrte die sozial-liberale Koalition, die vom jungen und begabten Fernec Gyurcsàny , einem milliardenschweren Geschäftsmann und früheren Sekretär des Kommunistischen Jugendbunds vor 1989 geführt wird, 2006 nach einer Kampagne an die Macht zurück, die sich auf linkspopulistische Wahlversprechen stützte, von denen Gyurcsàny selbst behauptete, sie wäre ein Haufen offensichtlicher Lügen. Nachdem diese Aussage an die Öffentlichkeit gedrungen war, brachen Tumulte in Budapest aus und an das Hauptquartier des staatlichen Fernsehens – das Symbol der Verlogenheit – wurde Feuer gelegt. Am 23. Oktober 2006, am 50. Jahrestag der ungarischen Revolution, zahlte es die früher geschlagene Polizei den Protestierern heim und schlug Randalierer, zufällige Passanten, schon Festgenommene und was immer ihre Wege kreuzte zusammen. (Die liberale Intelligenz stellte sich zu ihrer ewigen Schande auf die Seite des Polizeiterrors.) Die Proteste dauerten noch Monate an und wandten sich dabei schnell zum Schlechteren beherrscht von der Symbolik der Pfeilkreuzler, der ungarischen Nazis, berüchtigt für ihren antijüdischen Terror im eingeschlossenen Budapest von 1944. Die Proteste wurden von der parlamentarischen Rechten unter der Führung des früheren Premierministers Viktor Orbán geschickt ausgenützt. Die Regierungskoalition fuhr mit ihrer Austeritätspolitik, mit riesigen Steuererhöhungen und Einschnitten bei den Ausgaben für Gesundheit und Erziehung fort, schloss Spitäler (die ersten Toten auf Grund des Chaos im Gesundheitswesen waren schon zu beklagen), Schulen, kulturelle Institutionen, kürzte oder strich Unterstützungen, entwickelte Privatisierungspläne für Spitäler, die Eisenbahn, die Elektrizitätswerke und Gemeindedienste, gab Preise (z. B. für Medikamente) frei, führte Gebühren für jeden Arztbesuch (bei staatlichen Ärzten) und für Uni-Studenten ein, verdoppelte die Preise des öffentlichen Verkehrs, fror Lohn- und Pensionssteigerungen ein – all dies war notwendig, um die Staatsschulden und das Handelsbilanzdefizit zu senken, damit die so genannten „Konvergenzkriterien“ erfüllt werden, deren Einhaltung die Europäische Union für die Teilnahme an der Eurozone als verpflichtend ansieht. Bonitätsbewertungsgesellschaften wie Standard and Poor’s haben auf die Regierungspolitik mehr Einfluss als die Wählerschaft.

All dies stößt auf die Opposition von betäubendem antikommunistischem Geschrei, xenophober, antisemitischer, antiwestlicher und gegen Immigranten gerichteter Agitation (es gibt zwar praktisch keine Einwanderer in Ungarn, aber das macht nichts, es wird welche in ferner Zukunft geben, wenn die vaterlandslosen Gesellen nicht aus ihren Ämtern verjagt werden). Umfragen zeigen, dass Mitte-Links aus dem Parlament verschwinden könnte – Unterstützer der Regierung werden offen bedroht. Es wird eine Volksabstimmung über die am wenigsten beliebten Maßnahmen der Regierung geben, von der Rechten initiiert und sicherlich eine neue, erwartbare größere Niederlage der sozialliberalen Regierung. Wegen Polizeiübergriffen mussten die drei Chefs der Polizei des Landes, die Führung des Geheimdienstes und der verantwortliche Justizminister in Schimpf und Schande zurücktreten. Korruption ist überall. Autostraßen und Untergrundbahnen zerfallen. Bürohochhäuser sind unvollendet oder leer. Das Vertrauen in öffentliche Einrichtungen ist null.

Tausende Rocker, die mit ihren Maschinen nachgemachte Wehrmachthelme und große Nazi- und Pfeilkreuzlerflaggen zur Schau stellen und auf ihren Lederjacken stolz den offiziellen Namen ihrer Vereinigung – Goy Bikers – tragen, füllen die Hauptstraßen im Inneren Budapests mit ihrem donnernden Lärm und ihren wogenden Auspuffgasen. Im ganzen Land wird für ein nicht gewähltes Oberhaus demonstriert, das nicht von Parteien beschickt wird, und für eine Verfassung, die der Heiligen Krone des Stephan Souveränität verleiht (und nicht dem Volk). Einundvierzig polnische Abgeordnete, Mitglieder der Mehrheit des Hauses, brachten einen Antrag zur Wahl Jesu Christi zum Ehrenpräsidenten Polens ein (einige würden dies wohl auf Ehrenkönig erweitern). Der Vorsitzende wies ihn auf Grund eines Formfehlers zurück. Sie wagten nicht, ihn zur Abstimmung zuzulassen: Er hätte womöglich eine Mehrheit gefunden.

Man füge zu diesem Bild die offensichtliche Unfähigkeit der Tschechischen Republik, Rumäniens und Serbiens, eine arbeitsfähige Parlamentsmehrheit zu bilden, den antirussischen Wahn, der die baltischen Kleinstaaten ergriffen hat. Dem entsptrechen höchst reale, apartheid-ähnliche Diskriminierungen ihrer russischen ethnischen Minderheiten[19], die allgegenwärtige Verfolgung und Aussonderung der Romaminderheiten (so sagte der Präsident Rumäniens über eine Journalistin, der er persönlich mit Gewalt das Mobiltelefon stahl , es also konfiszierte: „Ich werde nicht mit dieser stinkenden Zigeunerf…e reden“), den völligen Zusammenbruch der ethnischen Enklaven, die von der erlauchten „internationalen Gemeinschaft“ einem Statebuilding[20] unterzogen wurden – Bosnien, Kosovo, Montenegro, Mazedonien, Moldawien/Transnistrien, das stalinistische intermundium[21] Weißrussland, die Vertreibung exjugoslawischer Einwohner aus Slowenien, und sieht damit die „Neuen Demokratien“, die braven Soldaten der „Koalition der Willigen“, Rumsfelds und Cheneys „Neues Europa“.

Ebenso wurden Versuche unternommen, auf der Basis dunkler und vager „Neuer Verfassungen“, die plebiszitär abgesegnet werden sollten, Präsidialregims zu etablieren und so die linkspopulistischen lateinamerikanischen Regierungen zu imitieren, neue „Republiken“ (die Dritte in Rumänien, die Vierte in Polen), parteiungebundene Präsidialbewegungen in der Nachahmung Karls II. von Hohenzollern-Sigmaringen und seiner Königsdiktatur in Rumänien von 1938 zu gründen. Es zeigt sich auch ein immer mehr um sich greifendes Wiederaufleben faschistischer Symbolik, was noch akuter wurde durch die nun gar nicht mehr symbolischen Angriffe auf den Parlamentarismus und was sonst noch von den ohnehin bescheidenen „liberalen“ Errungenschaften der 90-Jahre übrig sein mag.

Liberale Kommentatoren sprechen von einer Erhebung gegen die Moderne. Das ist blanker Unsinn. Die neokonservative (oder neoliberale) Konterrevolution hat die Nation und im Besonderen die unteren Mittelklassen an zwei Fronten attackiert.[22]

Zuerst einmal ignorierte sie, dass die Sozialstaatseinrichtungen das Rückgrat der nationalen Identität sind, das einzig verbleibende Prinzip gesellschaftlichen Zusammenhalts in einem traditionslosen Kapitalismus bilden. Es ist nicht nur der Verlust des Lebensunterhalts, sondern auch und vor allem der wahrgenommene Verlust an Würde, der Verlust des Gefühls, versorgt, geschützt und so von der Gesellschaft respektiert zu werden, der auf dem Spiel steht. Aufstiegsmöglichkeit – verinnerlicht als dynamische Gleichheit – war der größte Triumph der Sozial- und Planstaaten. Der Verlust der Klassenzugehörigkeit – diese wird in Osteuropa charakteristischerweise durch den akademischen Grad symbolisiert; noch ein verhungernder Herr Doktor[23] ist ein Herr –, das Gefühl, dass die Nachkommen von Geschäftsleuten, Beamten, Lehrern und Ärzten sich wieder körperlicher Arbeit unterziehen oder irgendwohin als illegale Einwanderer fliehen müssen, déclassé zu sein, ist eine unerträgliche Bedrohung. Dieser Aufstand ist die Revolte der Mittelklassen gegen den Verlust von Nation und Stand.

Zum zweiten ist es für die Mittelklassen ideologisch unmöglich, sich mit den Bollwerken und Bastionen des Sozialstaats, wie er von den Kommunisten geschaffen wurde, zu identifizieren. Es würde einen fürchterlichen Gesichtsverlust bedeuten, wo doch „Kommunismus“ für Niederlage und Vergangenheit steht, und das einem Mittelstand nicht enstsprechen würde, der sich selbst als modernistisch und angetrieben vom Mythos des Erfolgs, der Verbesserung der eigenen Lebensumstände und dem ganzen Übrigen wahrnimmt. Sie können nicht offen die Institutionen verteidigen, die ihnen in erster Linie ihre Würde gaben, die aus Bauern Bürokraten und Intellektuelle machten, bedeutete dies doch das Einbekenntnis der eigenen bäuerlichen Vergangenheit und des ebenso schmachvollen „kommunistischen“ Erbes. Indem nun also neokonservativer (oder neoliberaler) Sozialabbau als das Werk von Kommunisten dargestellt wird, kann die Scham vermieden und die Verteidigung der institutionellen Einrichtungen vor 1989 akzeptabel gemacht werden. Auch können frühere Sekretäre der Kommunistischen Partei oder der Kommunistischen Jugend schlecht behaupten, sie hätten nie dieser institutionellen Ordnung angehört oder hätten keinen Grund, für ihre Segnungen dankbar zu sein, und sie müssen erklären, dass die Abwicklung dieser Ordnung die Korrektur eines Fehlers ist. So erscheinen sie als fehlbar und opportunistisch, nicht als die Herolde einer neuen Zeit, von Freiheit und Ähnlichem.

So können sich die neuen Konterrevolutionäre als unfehlbare antikommunistischen Gegner der „kommunistischen“ Privatisierer, Monetaristen, Angebotstheoretiker und Globalisierer gerieren, und sowohl als Angehörige der Linken wie der Rechten gelten. Sie können den von den Bolschewiken geschaffenen Wohlfahrtsstaat verteidigen, ohne dem Bolschewismus einen Fußbreit nachzugeben, die vom Internationalismus zum Transnationalismus und Multinationalismus übergingen, denn gegen beide kann mit der Idee ethnischer Militanz Widerstand geleistet werden, die sich recht deutlich vom klassischen Nationalismus unterscheidet, der auf der legalen und politischen Gleichheit aller Bürger ungeachtet ihrer Herkunft und Abstammung fußt.

Da dieser Ausbruch politischen Wahnsinns in Osteuropa eine ebenso defensive Reaktion auf neokonservative oder neoliberale Globalisierung und auf Neoimperialismus ist wie die antikapitalistische Version der Neuen Sozialen Bewegungen im Westen und in der Dritten Welt (ich weiß, diese Bezeichnung hat einen unangenehmen Nachgeschmack, aber ich konnte keine bessere finden oder ausdenken), müssen wir kurz die recht zahlreichen und ein bisschen beunruhigenden Parallelen zwischen den beiden behandeln.

Die Unterschiede zwischen den gegenwärtigen „postfordistischen“ Protesten und vergangenen Formen von Widerstand gegen den Kapitalismus im zwanzigsten Jahrhundert sind beträchtlich.

Wegen der Veränderungen in Technologie und Haushalt (inklusive Ausweitung der Vorstädte, Wohnungseigentum und Häuslbau für die Arbeiterklasse, Automobilisierung, Abbau der Massenfabrik), der Zerstreuung der Arbeitskraft und, ganz allgemein gesprochen, wegen der Veränderungen in der Organisation der Produktion, ganz zu schweigen vom Einfluss der neuen Massenmedien ist heute der Hauptgegner des entwickelten Kapitalismus, das Proletariat, weiträumig von den Orten der Macht (sowohl ökonomisch als auch politisch) getrennt, die jedenfalls ent-territorialisiert und ent-nationalisiert wurden. Man kann heute nicht die Bastille oder das Winterpalais stürmen, da die Machtstrukturen verändert wurden. Direkte revolutionäre Begegnung zwischen – sagen wir – Besitzenden und Habenichtsen sind außer in so genannten rückständigen, also armen Ländern unmöglich.

So sind die gegenwärtigen Kämpfe weitgehend symbolisch, wenn wir z. B. die Proteste gegen das G8-Gipfeltreffen in Heiligendamm betrachten, die gerade stattfinden, während ich schreibe. Nehmen wir einmal für einen Augenblick an, dass die Demonstranten „gewinnen“ und es schaffen, die versammelten Staatsoberhäupter und andere große Kapazunder aus Mecklenburg-Vorpommern zu verjagen – was würde geschehen? Sie würden an ihre jeweiligen Regierungssitze zurückkehren, vielleicht mit ein paar Abschürfungen versehen – das war’s. Es gibt keine spezifischen Forderungen („Make Capitalism History“ ist keine), daher treffen die Proteste die „bürgerliche Politik“ nicht auf der Ebene, auf der sie entworfen und eingeführt wird, und die wenigen spezifischen Forderungen, in Wirklichkeit Gesuche, die von einem gemäßigten Flügel vorgetragen werden, sind auf den Rahmen bürgerlicher Politik beschränkt und daher nicht revolutionär (z. B jene, die den CO2-Ausstoß, Arbeitsmigration, geistiges Eigentum etc. betreffen) und so an sich prinzipiell vereinbar mit bürgerlicher (liberaler Mainstream-)Politik, auch wenn sie momentan wenig Chancen auf unmittelbaren Erfolg haben. Zum Ausbruch von Gewalt kommt es, weil die Protestierenden dem System feindlich gegenüberstehen, aber das System wird nicht durch eine willkürliche Ansammlung von Führern von Nationalstaaten repräsentiert, die in dieser Kulisse ihre wirkliche, also legale Macht nicht einmal ausüben. Was droht, ist – anders als im Fall kommunistischer oder sozialistischer Revolutionen – kein Regimewechsel, sondern Chaos. Dem Chaos kann nicht durch Repression begegnet werden (wenn es auch von Polizei und Bundeswehr zurückgehalten und „bereinigt“ werden kann), da nur Gegenmacht unterdrückt werden kann, und Protest allein ist keine Macht. Macht trifft nicht auf Gegenmacht, ganz anders als im Fall der klassischen, vor allem europäischen Revolutionen.[24]

In den postfordistischen Protesten des 21. Jahrhunderts werden die fundamentalen Prinzipien von politischer und rechtlicher Ordnung und von Staatskunst nicht direkt herausgefordert. Die reguläre Armee trifft auf keine Rote Armee, Polizei nicht auf Rote Garden oder einen Republikanischen Schutzbund[25], nationale parlamentarische Regierungen nicht auf Arbeiterräte, bürgerliche Parteien nicht auf proletarische, Nationalstaaten nicht auf eine universelle Räterepublik (Vergessen wir nicht, dass das Wappen der Sowjetunion der Globus war, umwunden von roten Schriftbändern auf denen zu lesen war „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!“, in Sprachen, die nicht lokal waren wie Französisch, Englisch, Deutsch, Hindi ohne die geringste provinzielle Anspielung auf Russland, und ursprünglich die „National“hymne schlicht die Internationale war!); Prinzipien privaten Eigentums, die Trennung der Gewalten, die Trennung zwischen Staat und Zivilgesellschaft werden nicht geradeheraus als abzuschaffende proklamiert, kulturelle oder ideologische Subsysteme (vom Recht bis zur Kunst) werden nicht als Täuschung denunziert. Wie wir gesehen haben, sind die Forderungen der Protestierer nicht völlig unvorstellbar im System, wie größere Gleichheit, ein Ende der imperialistischen Interventionspolitik und der Aufrüstung mit Kernwaffen, größere Gerechtigkeit gegenüber verschiedenen Gruppen etc., und selbst wenn sie momentan kein Gegenstand praktischer und praktikabler Politik sind, tragen sie nichts in sich, das nicht in einer großzügigeren, innovativeren liberalen Politik willkommen geheißen werden könnte. (Ich habe schon früher gesagt, dass die Antiglobalisierungsbewegungen sozialdemokratische reformistische Politik mit revolutionärem Straßentheater zusammen bringen.) Warum dann die Verzweiflung?

Ich denke nicht, dass die aktuell vorgeschlagenen Maßnahmen von großer Bedeutung sind. Diese Bewegungen sind durch und durch apolitisch oder antipolitisch. Sie sprechen „Probleme“ an, aber attackieren keine Staatsformen. Sie versuchen eifrig, den Staat als solchen zu ignorieren, den sie aber implizit anerkennen, da sie mehr oder weniger erwarten, dass ihre Forderungen und Vorschläge in Regierungspolitik (oder globaler Regierungspolitik: von IMF, Weltbank, WTO, OECD) münden, ohne gleichzeitig zu versuchen, eine neue Staatsform zu schaffen, die der Verfolgung solcher Politik zugänglicher wäre.

In diesen postfordistischen Protestbewegungen gibt es nichts, das nicht eventuell auch durch Regierungswechsel nach Wahlen durch politische Parteien oder eine internationale Allianz solcher Parteien zu erreichen wäre. Warum gibt es aber dann das Zögern, die Mannigfaltigkeit der traditionellen politischen Mitbestimmungasmöglichkeiten (z. B. Wahlen, Volksabstimmungen, Plebiszite, Streiks oder anders geartete) wirklich zu nutzen, langwierigere, mehr Geduld verlangende, aber zweckmäßigere Methoden passiven Widerstands und bürgerlichen Ungehorsams anzuwenden? Oder, sollte sich das nicht als zielführend erweisen, warum dann nicht sich auf die Revolution vorbereiten und für sie trainieren?

Die Antwort liegt, denke ich, im apolitischen Wesen: Es ist der Rückzug von pluralistischer Politik (die das Anstreben und Ausüben von Macht voraussetzt) überhaupt, inklusive revolutionärer Politik. Das ist keine Apathie (es herrschen hier viele Leidenschaften, vor allem Hass, Verachtung und Hohn), sondern eine objektlose Zurückweisung einer subjektlosen Ordnung (der des Kapitals). Die umfassende Ablehnung der gegenwärtigen Ordnung begleitet jedoch keine entsprechende Utopie des Gegenstücks (wie 1968); es ist eine projektlose, antiutopische Revolte reiner Verneinung – die sie paradoxerweise stärker macht, da die erschöpfenden Debatten über Mittel und Endziele uneingestanden inhaltsleer sind.

Es ist wichtig, festzuhalten, dass die neuen Proteste nicht weniger umstürzlerisch sind als ihre Vorgänger, mit derselben Begründung, dass nämlich das Ziel ihrer Angriffe nicht die politische und soziale Ordnung per se ist noch liberale politische Institutionen überhaupt (nicht einmal die Märkte – „fair trade“ setzt Märkte voraus), sondern Legitimität: Ziviler Ungehorsam, wenn auch beschränkt und begrenzt in seinen Zielsetzungen, dennoch radikal, wird moralisch begründet, öffentlich erklärt und vermutlich werden dabei auch Gesetze verletzt. Wie sehr er sich auch dem Recht widersetzen mag, so sehr bleibt er doch eingebettet in die Begrifflichkeit des liberalen Konstitutionalismus. Verallgemeinerter ziviler Ungehorsam aber (verallgemeinert in seinen Zielen, nicht in seinem Übergreifen auf die gesamte Bevölkerung), selbst wenn klar ist, dass er keinen Kollaps der vorherrschenden Ordnung auslösen kann, stellt für die liberale Demokratie ein Problem dar. Solange die Systemopposition unfähig (eher und wirklicher unwillig) bleibt, Gegenmacht zu schaffen, ist eine Regierung auf der Basis von Konsens, der Basis jeder „freien“ Politik, unmöglich. Der Konsens wird in zunehmendem Maß, wenn auch nur passiv und symbolisch, verweigert, nicht dadurch, dass ihm Widerstand entgegengesetzt wird, sondern durch das Verlassen der Institutionen und das Verweisen der Reflexion der menschlichen Angelegenheiten auf einen völlig anderen, im Allgemeinen ethischen Platz. Da diese Ethik üblicherweise eine Art Verteilungsgerechtigkeit zum Kern hat, verweist sie notwendig auf eine Autorität, in der die intellektuelle Kraft, die für jede Form gerechter Verteilung unverzichtbar ist, situiert ist.

Die zunehmend offener zutage tretende konsensuale Charakter früher angenommenerweise gegensätzlicher politischer Abläufe (Wahlen, Parteipolitik, Wettbewerb der Nationen, Kampf zwischen Kapital und Arbeit am Arbeitsplatz), von denen mensch bisher angenommen hatte, sie seien gegensätzlicher, erweisen sich als selbstzerstörerisch. Autorität wird historisch gesehen immer nur gegen etwas behauptet; die Verschmelzung von Autorität und Politik ist höchst gefährlich. Nichtsdestoweniger sind alle anderen Formen von Autorität (Religion, gemeinsame gesellschaftliche Moral und „Moralempfinden“, Hochkultur, Wissenschaft, Tradition überhaupt, Wissen und Weisheit der Alten inklusive und so fort) verkümmert und daher ruft jede Spaltung in der Politik Panik hervor. Die einzig fortbestehende Form von Autorität wirkt noch immer, nicht weil sie von der Gemeinschaft wegen der Tugendhaftigkeit ihrer Vorzüge aufrecht erhalten würde, sondern nur als Ausdruck der puren Zufälligkeit eines trügerischen, seltsamen, launenhaften, unbeständigen Willens der Vielen. Wenn dieser Wille jedoch betrogen werden sollte, bricht eine Hölle los. Dieser populistische Wille ist jeder Stimmung, jeder Mode untertan, wie eine leere Leinwand, auf die alles projiziert werden kann. Wenn die vorherrschenden öffentlichen Entscheidungen und Kundmachungen mit dieser flüchtigen Erscheinung des Volksempfindens nicht harmoniert, wird das als Beweis für den heuchlerischen und illusorischen Charakter politischer Institutionen genommen, die zu diesem Volksempfinden keinen Kontakt mehr haben und daher für sinistre elitäre Mächte, Interessen und Verschwörungen offen sind.

Kein Wunder also, wenn die verzweifelte und deklassierte Jugend der Mittelklasse in Osteuropa von finsteren Komplotten träumt und fühlt, dass ihre Sorgen und Ängste sowohl berechtigt als auch demokratisch sind, weil sie irgendwie zum Stil der Zeit passen.

Die unmittelbare, direkte Leugnung der Legitimität scheint dem Fehlen echt revolutionärer Absichten, die ich eben den neuen sozialen Bewegungen unterstellt habe, zu widersprechen. Revolutionen sind jedoch Kämpfe. Revolutionäre sagen den Tyrannen: „Ihr deklamiert, dass eure Ordnung gerecht ist; nein, das ist sie nicht. Erst die neue Ordnung, die wir errichten werden, ist die gerechte. Ihr habt Unrecht und wir haben Recht, und Gott ist auf unserer Seite.“ Die neuen sozialen Bewegungen würden so etwas nie sagen. Gerechtigkeit, wie sie von konventioneller Politik erwartbar ist, ist für sie ohne jeden Belang. Sie ersehnen ein Ende der globalen Erderwärmung oder der Kinderarmut mit Mitteln, die sie verachten, während sie gleichzeitig auch nicht denken, dass andere Mittel vorhanden wären; aber es werden ohnehin nicht sie sein, die diese Mittel anwenden werden müssen.

Die Hinwendung des politischen Kampfs von der Form zur Substanz macht konstitutionelle, legale, legitimierende Argumente überflüssig. Die offene Anerkennung dessen, dass gegenwärtig keine Alternative zum Kapitalismus in Sichtweite ist, bedeutet nicht, dass der Kapitalismus nun als legitim oder auch nur erträglich betrachtet wird. Im Gegenteil: Es bedeutet eine Abkehr von den konstitutionellen und sozialen Ideen von Legitimität und den philosophischen Ideen von Gerechtigkeit und Freiheit im Kontext bewussten menschlichen Handelns. Das steht in einem markanten Kontrast zu Marx, der als das Problem des Kapitalismus (zusammen mit Ausbeutung, Unterdrückung und hierarchischer Ordnung) gerade ansah, dass er sich unter gleichen und freien Subjekten realisiert.

Der Zeitgeist[26], der junge Westeuropäer dazu bringt, unter roten und schwarzen Fahnen zu marschieren, zeigt sich anders in Bezug auf junge Osteuropäer, die mit Tüchern und Schals Palästinenser imitieren, ihre Vermummungen und Maskierungen, ihre Steinwürfe und ihr cooles Rebellieren, das sie neidvoll im Fernsehen beobachtet haben, verbinden das aber mit extremem Autoritarismus, Rassismus und so weiter. Während westeuropäische, nord- und lateinamerikanische Antiglobalisierer eine Nostalgie für das revolutionäre Proletariat bekunden, drücken ihre osteuropäischen Konterparts unzweideutig ihre Ablehnung von Proletariern aus und ihre Furcht vor ihnen. Selbst wenn das bloßer politisch-kultureller Atavismus ist, ist das (Klasse als ein Orientierungspunkt) höchst bedeutsam.

Die Adaption der Kulissen und der Inszenierungen der gauchiste-Demonstrationen durch reaktionäre, bourgeoise Nuklei zukünftiger Sturmtruppen ist zum Teil ein Cargokult.[27] Wichtiger aber ist: Sie ist die Anwendung militanter Antipolitik angesichts der Ruinen einer säkularen Gesellschaft, die auf egalitärer Planung beruhte. In ihrem Zentrum finden wir im Osten wie im Westen ein lebendigen Selbstwiderspruch, eine kulturalistische, anti-ètatiste Verteidigung des Verteilungsstaats, des starken Staats, der alle schützt, von 1845 bis 1989. R. I. P. Unfreiwilliges postmodernes Stückwerk spielt eine gewisse Rolle. Ein als Scheinkatholik und Scheinnationalist wiedergeborener Mittelklassebürger, der von „Kommunisten“ ins Leben gerufen wurde, der sich dafür einsetzt und damit abmüht, Institutionen und Abläufe zu erhalten, die von „Kommunisten“ eingeführt wurden, während er all die Zeit: „Tod den Kommunisten“ schreit und Kapitalisten meint – das würde das durchtriebene Herz des alten Jean Baudrillard erwärmt haben.[28]

Die Arbeiterklasse ist stumm. Es gibt kaum Streiks. Dieser Kampf wird zwischen transnationalem Kapital und seinen einheimischen Agenten und den lokalen ethischen Mittelklassen im Verein mit nationaler und klerikaler Intelligenz ausgetragen. Eine authentische Linke ist nicht aufgetaucht.

Noch nicht.[29]

E-Mail: tgm @ t-online.hu


[1] Erkennungszeichen, ursprüngliche Bedeutung „Getreideähre“, geht zurück auf Richter 12, 5-6: „Und wenn ephraimitische Flüchtlinge (kamen und) sagten: Ich möchte hinüber! fragten ihn die Männer aus Gilead: Bist du ein Ephraimiter? Wenn er nein sagte, forderten sie ihn auf: Sag doch einmal „Schibboleth“. Sagte er dann „Sibboleth“, weil er es nicht richtig aussprechen konnte, ergriffen sie ihn und machten ihn dort an den Fluten des Jordan nieder. So fielen damals zweiundvierzigtausend Mann aus Ephraim.“ (Anm. d. Übersetzers)

[2] „Un capitalisme pur et simple“, La Nouvelle Alternative, Band 19, 60/61 aus 2004, S. 13-40; “Ein ganz normaler Kapitalismus”, grundrisse: zeitschrift für linke theorie & debatte, 22 aus 2007, S. 9-23

[3] vgl. G. M. Tamás, „Socialism, Capitalism and Modernity“. In: Larry Diamond, Marc F. Plattner (Hg.), „Capitalism, Socialism und Democracy Revisited”, Baltimore, London (The Johns Hopkins University Press) 1993, S. 54-68; „The Legacy of Dissent: Irony, Ambiguity, Duplicity””. In: Vladimir Tismaneanu (Hg.), „The Revolutions of 1989”, London, New York (Routledge) 1999, S. 181-197 (Erstveröffentlichung in TLS, 14 aus 1993); „Paradoxes of 1989”, East European Politics and Societies, Band 13, 2 aus 1999, S. 353-358; „Victory Defeated”, In: Larry Diamond, Marc F. Plattner (Hg.), “Democracy after Communism”, Baltimore, London (The Johns Hopkins University Press) 2002, S. 126-131.

[4] Einen ausgezeichneten Überblick über „Staatskapitalismus”-Theorien bietet Mike Haynes, „Marxism and the Russian Question in the Wake of the Soviet Collapse“ (der Form nach eine Besprechung von Büchern von Michael Cox [Hg.], Paresh Chattopadhyay und Neil Fernandez), Historical Materialism, 10.4 aus 2002, S. 317-362; vgl auch Anmerkung 1 und Stepen A. Resnick und Richard D. Wolff, „Class Theory and History: Capitalism and Communism in the USSR“, London, New York (Routledge) 2002, dazu Paresh Chattopadhyays Besprechung in Historical Materialism, 10.1 aus 2006, S. 249-270.

[5] vgl. Charles Bettelheim, „Class Struggles in the USSR, Second Period: 1923-1930“, Kap. 3, 4 und 5, New York, London (Monthly Review press) 1978, S. 209-329 (Übersetzung Brian Pierce)

[6] Ebenso kann nicht bestritten werden, dass die neue herrschende Bürokratenklasse echte und tiefe proletarische Wurzeln hatte. Eine ungarische Analyse der „Nomenklatura“ zeigt, dass 1952 70% der KP-Apparatschiki vorher Fabriks- oder Landarbeiter waren (51,6 % Facharbeiter), andere Angestellte 9,4 %, Intellektuelle 3.3 %; mit Grundschulabschluss waren es 62,7 %, mit akademischem Grad 2.8%. Im eigentlichen Staatsapparat (Ministerien und lokale Verwaltungen) waren 47 % früher Fabriksarbeiter, 10.3 % Bauern, 11,5 % Intellektuelle. (Tibir Huszár, „Az elittől a nómenklatúráig“,  Budapest (Corvina) 2007, S. 63. Selbst in den wichtigsten herrschenden Gremien der Kommunistischen Partei, in ZK und Politbüro, hielt sich bis zum Schluss eine Mehrheit mit proletarischer Herkunft. Es kann nicht den geringsten Zweifel geben, dass die alten aristokratischen und bourgeoisen Eliten entfernt worden waren und überall ein plebejischer Ton herrschte.

[7] vgl. David Schoenbaum, “Hitler’s Social Revolution: Class and Status in Nazi Germany”, Garden City (Anchor Doubleday) 1967 und die Werke von Götz Aly und die Debatten, die sie ausgelöst haben..

[8] Freizeitgestaltung durch die öffentliche Hand (Anm. d. Übersetzers)

[9] US-amerikanische Zeitschrift mit populärwissenschaftlichem Zukunftsoptimismus und technologisch-fortschrittlicher Heimwerkerausrichtung, ähnlich der verblichenen Zeitschrift „Hobby“ (Anm. d. Übersetzers)

[10] Antonio Negri hat 1967 in einem Aufsatz, der verdächtig danach aussieht, klassisch zu werden,  gezeigt, wie der Sozialstaat das Ergebnis einer strengen Rechnung der Bourgeoisie mit der Kraft der Arbeiterklasse ist, eine politische Schlussfolgerung aus einem genauen Verständnis der strukturellen Rolle des proletarischen Gegners. Vgl ders., „Keynes and the Capitalist Theory of the State“, In: Michael Hardt, Antonio Negri, “Labor of Dionysus: A Critique of the State-Form”, Minneapolis, London (University of Minnesota Press)., 1994, S. 22-50. Man muss verstehen, wie der “real existierende Sozialismus” nach dem Zweiten Weltkrieg zur nicht erzwungenen Mehrwertabschöpfung zurückkehrte (also der der Selbstkolonisierung durch Sklavenarbeit im GULAG ein Ende machte) und zur Schaffung von gesellschaftlichem Zusammenhalt durch das Anregen der Nachfrage nach Konsumgütern. Das war das grundlegende keynesianische Programm von Imre Nagy von 1953 und 1956 und von Alexander Dubček und Ota Šik von 1968.

[11] Im englischen Original deutsch (Anm. d. Übersetzers)

[12] Bertolt Brecht, „Die Dreigroschenoper“, Stücke I, Berlin, Weimar (Aufbau Verlag) 1975, S. 76

[13] Filetierung und Verkauf von profitablen Teilbereichen zerlegter Unternehmen (Anm. d. Übersetzers)

[14] Im englischen Original deutsch (Anm. d. Übersetzers)

[15] Vgl. Ernest Mandel, „From Stalinism to Eurocommunism”, London (New Left Books) 1978, S. 125-149. Die opportunistische Wendung zur offen bürgerlichen Politik im PCI erklärt den frühen und großen Einfluss der italienischen extremen Linken. Dazu Steve Wright, „Storming Heaven: Class Composition and Struggle in Italian Autonomist Marxism”, London, Sterling (Pluto) 2002. – ersetzen durch deutsches Zitat!!!

[16] Alexander Wassiljewitsch Koltschak, 1874 – 1920, zaristischer Forscher und Offizier; nach dem Ersten Weltkrieg „Oberster Regent Russlands“, führte von der Entente unterstützt, den Bürgerkrieg gegen das revolutionäre Russland von Sibirien aus. (Anm. d. Übersetzers)

[17] Pjotr Nikolajewitsch Wrangel, 1878 – 1928, zaristischer Offizier, politischer und militärischer Führer der nationalistischen Bewegungen gegen die Bolschewiken auf der Krim und im Kaukasus nach dem Zerfall des Zarenreichs. (Anm. d. Übersetzers)

[18] Der Aufsatz wurde vor der aktuellen Entwicklung geschrieben, die aber die Argumentation ohnehin nicht in Frage stellt. (Anm. d. Übersetzers)

[19] Das wird noch weiter verschärft durch die Politik von USA und EU, die darauf abzielt, Russland einzukreisen und zu isolieren und auf taktlose Weise den russischen Stolz zu erniedrigen, der seit den frühen 90er-Jahren schon eine Menge zu schlucken hatte. Ohne Präsident Putins tyrannische und antidemokratische Neigungen zu vergessen, bringt der Westen eine Allianz mit dem extrem klerikalen und protofaschistischen Kaczyński-Regime und den baltischen Staaten zustande, die –  vor allem Estland und Lettland – simple und offene Apartheid gegen ihre ethnischen russischen Minderheiten ausüben, „begründet“ mit dem, was ich „begünstigten Antibolschewismus“ nenne, obwohl ein neuer Cordon Sanitaire, ähnlich dem, der in den 20er- und 30er- Jahren die Sowjetunion vom Rest der Welt trennte, nicht mit der Ausbreitung der Weltrevolution von Moskau und Sankt Petersburg entschuldigt werden kann. Siehe G. M. Tamás, „Az oroszkérdés” (The Russian Question), In: Népszabadság, 27. April 2007. Es war eine schmachvolle Episode in dieser schmutzigen Geschichte, dass das Europäische Parlament einen Antrag annahm, der Estland unterstützte und Russland dafür tadelte, dass es wirkungsvoll gegen die Demolierung eines Kriegsdenkmals aus der Sowjetära protestierte (was klarerweise eine chuvinistische symbolische Geste gegen die russische Minderheit war, während baltische Veteranen der Waffen-SS und ihre jugendlichen Unterstützer in SS-ähnlichen Uniformen durch Tallin paradieren). Dieser Antrag wurde bei der Abstimmung auch von der vorgeblich kommunistischen parlamentarischen Gruppe GUE/NGL (Confederal Group of the European United Left – Nordic Green Left) unterstützt mit der löblichen Ausnahme zweier Abgeordneter der „Linken“, Tobias Pflüger und Sarah Wagenknecht.

[20] Im englischen Original „statified“. (Anm. d. Übersetzers)

[21] Raum zwischen den Welten, in welchem nach Epikur die Götter ein seliges Leben führen (Anm. d. Übersetzers)

[22] Vgl. G. M. Tamás, „Kelet-Európa új válsága” (A New Crisis in Eastern Europe), In: Népszabadság, 25. July 2007, auch  www.transindex.ro, www.perlentaucher.de, www.rue89.com.

[23] Im englischen Original deutsch. (Anm. d. Übersetzers)

[24] Diese Rätsel werden in den Debatten über den den zeitgenössischen Imperialismus gewälzt. Auf der einen Seite schiebt Antonio Negri, einer der prägnantesten Theoretiker des Klassenkampfs, das Problem des locus zur Seite und meint, es hätte sich erledigt; auf der anderen Seite bewegt sich der große marxistische Gelehrte David Harvey (Ökonom, Historiker, Geograph, Stadtarchitekturkritiker, Geschichtsphilosoph) mit seiner Theorie der „accumulation by dispossession“ (im Wesentlichen die Verlängerung, das Weiterwirken der [ursprünglichen] Kapital-Akkumulation durch Enteignung) von Marx zu Rousseau (und manches Mal, so scheint es, zu Robin Hood), in großer Harmonie mit den moralischen Gefühlen der Neuen sozialen Bewegungen, siehe David Harvey, „The New Imperialism“, Oxford (Oxford University Press) 2003 und ders., „A Brief History of Neoliberalism“, Oxford (Oxford University Press) 2006. Ich stimme jedoch mit Ellen Meiksins Wood überein im Hinblick auf die andauernde Bedeutung der Nationalstaaten als loci der Macht. Wie sie klar, einfach und entschieden herausstreicht, gibt es keinen Hinweis auf eine Entwicklung Richtung Weltregierung als Ergebnis der Globalisierung; ein leichter Schimmer von direkter Herrschaft durch das Kapital ist meiner Meinung nach eine Täuschung, hervorgerufen durch die Zerstörung des Sozialstaats und das Wiedererscheinen von Regierungstechniken, die machmal auf die alten Mehoden aus den klassischen Laissez-faire-Zeiten zurückgreifen. (Vgl. Ellen Meiksins Wood, „Logics of Power: A Conversation with David Harvey”, In: Historical Materialism 14.4 (2006), S. 9-34. und ihre wunderbare, charakteristisch prägnante Analyse in dies., „Empire of Capital”, London, New York (Verso) 2003.) Interessante Argumente gegen Negri werden von Alex Callinicos, „Toni Negri in Perspective”, In: Gopal Balakrishnan (Hg.), „Debating Empire”, London, New York (Verso) 2003, S. 121-143, ins Treffen geführt. Ebenso wäre es notwendig, Harveys neue proudhonistische Doktrin (nicht: “Eigentum ist Diestahl”, sondern “Empire ist Raub”) Leo Panitch und Sam Gindin, „Global Capitalism and American Empire”, Socialist Register 2004, S. 1-42, und, dies., „Finance and American Empire”, Socialist Register 2005, S. 46-81, gegenüberzustellen, die auch von Alex Callinicos, „Imperialism and Global Political Economy“, International Socialism 108, 2005, S.109-128, kritisiert wird.

[25] Im englischen Original deutsch. (Anm. d. Übersetzers)

[26] Im englischen Original deutsch. (Anm. d. Übersetzers)

[27] Es ist eine offene Frage, um wie viel authentischer die kommunistischen und anarchistischen Utensilien  der westlichen Globalisierungsgegner gemessen an den Pfeilkreuz- und Eiserne-Garde-Symbolen militanter Jugendlicher in Osteuropa sind.

[28] Ein besonders makabres Beispiel dieser Psychose war die Schändung des Grabmals von János Kádár (dem früheren kommunistischen Diktator Ungarns) und seiner Frau. Die Grabräuber schnitten ihre Köpfe ab und warfen ihre übrigen Gebeine durcheinander, in einer bizarre Rache für die revolutionären Toten, Imre Nagy und andere, die von Kádár und seinen Leuten 1958 exekutiert und mit dem Gesicht nach unten, die Hände mit Stacheldraht hinter dem Rücken gefesselt, ohne Särge oder Ähnliches kunterbunt durcheinander geworfen, mit Säure übergossen begraben wurden. Sonderbarerweise sind die rechtsextremen Täter stramme Gegner des Kapitalismus und sehr engagierte Unterstützer eines nicht pluralistischen Wohlfahrtsstaats nach dem Vorbild Kádárs.

[29] Ich habe wiederholt über die Chancen und ein mögliches Programm einer osteuropäischen Linken geschrieben, zuletzt (in Beantwortung einer rumänischen Anfrage) „Un decalog pentru stînga modernă (Zehn Gebote für eine moderne Linke; Titel vom Herausgeber), In: Observator Cultural, Bucharest, 19. bis 27. April 2007. Das Original: „Baloldal Romániában?” In: Élet és Irodalom, 27. April 2007 und www.ahet.ro. Siehe auch G. M. Tamás, „Új kelet-európai baloldal”, I (A New East European Left), In: Eszmélet 50, 2001, S. 30-53 und „Jobb és bal a festői Kárpát-medencében” (Right and Left in the Picturesque Carpathian Basin), In: Népszabadság, 19. August 2005, etc.

 

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