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Editorial/Leserinnenbrief

Liebe LeserInnen,

Jubeljubeljubel - 5 Jahre und 20 Ausgaben grundrisse sind vollbracht! In dieser Zeit hat sich Redaktion wie Zeitschrift gewandelt: von einer rein männlich zusammengesetzten Theorieproduktionsrunde hin zu einem geschlechtermässig gemischten, jüngeren und politischeren Zusammenhang. Redaktionsmitglieder sind in verschiedensten politischen Zusammenhängen aktiv (Euromayday, Arbeitslosenselbstorganisation, Antirassismus, feministische Zusammenhänge, Runder Tisch Grundeinkommen, www.chefduzen.at, etc.); diese verschiedenartigen Erfahrungen und nicht zuletzt auch die quantitative Vergrößerung waren und sind zentrale Aspekte der Dynamisierung der Redaktion. Die Möglichkeit der Überwindung des Kapitalismus und der staatskritische Zugang zu Fragen von politischer Organisation und Aktion sind dabei ebenso geteilte Eckpunkte wie die Uneinheitlichkeit der methodischen und thematischen Zugänge. Die grundrisse sind keine Strömungszeitschrift und das ist gut so.

Die Auseinandersetzungen auf unseren Sommerseminaren haben in der redaktionellen ebenso ihre Spuren hinterlassen wie die verstärkte Arbeit an der Bildpolitik und die Bestrebungen, über den deutschsprachigen Raum hinaus internationale theoretische Diskussionen aber auch politische Bewegungen zu reflektieren und in die grundrisse einzubeziehen.

Dem soll auch in dieser Jubiläumsnummer Rechnung getragen werden: nach mehreren Anläufen (die letztlich jedoch immer im Sande verlaufen sind) soll der Lateinamerika-Schwerpunkt dieser Ausgabe Auftakt zu einer stärker themenorientierten Arbeit der Redaktion sein. Wir versprechen nix, werden uns aber dahingehend bemühen.

Zuvor aber muss gefeiert werden, und zwar kräftig. Im Moment steht zwar Ort (der ungefähre ist Wien), genaues Datum (das ungefähre ist Ende Jänner) und Programm (es wird – nicht nur ungefähr – toll!) der 5-Jahres-Gala noch nicht fest, über www.grundrisse.net ist dies aber in Kürze abrufbar. Auf unserer Webseite – auch hier stehen in Bälde Veränderungen an – gibt´s darüber hinaus sämtliche Nummern der grundrisse zur freien Verfügung. Dennoch sind wir zur finanziellen Absicherung der Produktion auf eure Abos angewiesen und weisen hiermit ausdrücklich auf eine konservative Tendenz der grundrisse hin: Seit 5 Jahren kosten diese nämlich gleich viel, was angesichts horrender Posttarife und steigender Produktionskosten gerade noch kostendeckend ist. Also: Abo auf den Gabentisch, solange das Christkind noch nicht verboten ist. Auch ältere Ausgaben schicken wir gerne zu!

Schwerpunktthema dieser Ausgabe ist Lateinamerika. Den Auftakt macht ein Gespräch zwischen dem Colectivo Situaciones aus Buenos Aires und Paolo Virno. Das Colectivo Situaciones versteht sich als Kollektiv militanter ForscherInnen, bekannt vor allem für seine Analysen der argentinischen Aufstände vom Dezember 2001. Neben der Philosophie von Alain Badiou – darauf wird weiter unten noch zurückzukommen sein – arbeitet das Colectivo mit Theorien von John Holloway, Hardt/Negri oder eben Paolo Virno. Das vorliegende Gespräch ermöglicht einen Blick über die in der „Grammatik der Multitude“ behandelten Themen hinaus auf andere, noch nicht ins Deutsche übersetzte Teile von Virnos Denken.

Modifizierte Stärke von Jens Petz Kastner gibt einen Überblick über die sozialen Bewegungen in Lateinamerika in jüngster Vergangenheit, darunter auch eine Einleitung zu den Mujeres Creando. Komplettiert wird der Überblick durch den manifestartigen und selbstreflexiven Text der Gruppe: „Öffentlichkeiten der Mujeres Creando“, in dem die Autorinnen über Praxis, Selbstverständnis und Organisationsformen einer feministischen Gruppe schreiben.

Die „traurige Ratlosigkeit“ mancher linker KritikerInnen des garantierten Grundeinkommens bemerkt Karl Reitter. Traurig, weil die Vergesellschaftung über die Lohnarbeit den Horizont von sich als links verstehenden Menschen nicht verlassen hat, ratlos, weil die alternativen Vorschläge möglicher systemüberwindender Politiken so altbekannt wie unwirksam daherkommen.

Altbekannt ist auch die Debatte um „sexuelle Befreiung“, diskutiert wurde sie hingegen in den letzten Jahren kaum. Erst die Auseinandersetzungen um und mit dem Begriff „queer“ scheint daran etwas zu verändern. Paul Pop zeichnet im ersten Teil seines Artikels die Theorien der sexuellen Befreiung von der Russischen Revolution bis in etwa 1968 nach, in der nächsten Ausgabe wird dann fortgesetzt.

Den Abschluss macht ein längerer Text von Franz Naetar, welcher der Thematik des heurigen Sommerseminars entsprungen ist: „Wie hältst Du es mit der Demokratie“ lautet die Frage, der unter Zuhilfenahme von Negri, Badiou und einer Analyse der „free software“- Bewegung nachgegangen wird. Der im Text von Naetar behandelte französische Philosoph Alain Badiou ist nicht nur in Sachen Demokratietheorie und –kritik aktiv sondern auch in der von ihm mitbegründeten „Organisation politique“. Nicht zuletzt deshalb präsentieren wir „MIT NACHDRUCK“ den von Birgit Mennel übersetzten Text „Was ist die Organisation politique?“

Die Buchbesprechung von Paul Pop behandelt einen Klassiker – „The Great Transformation“ von Karl Polanyi bereits 1944 erschienen – seine analytische Schärfe hat das Buch jedoch bis heute nicht eingebüßt. Wir wünschen einen wilden Jahreswechsel und eure Anwesenheit bei der Jubiläums-Gala. Zudem danken wir allen, die direkt oder indirekt an Zustandekommen dieser Ausgabe beteiligt waren, insbesondere Lisbeth Kovacic für die Bildstreifen, die diesmal aus dem Film „Backyard“ von Nicole Szolga, produziert 2006, stammen.

die grundrisse-redaktion

politische Sichtweisen – politische Schreibweisen oder: wie ein Bild kollektiv entsteht.
Ein Leserbrief zum Grundrisse Heft Nr. 19 von Lisa Waldnaab / Wissensträgerin in der hybriden Zone zwischen Kunst und Politik

„Da unsere Zeit riesige Vernichtungskraft besitzt, braucht sie jetzt eine Revolution mit vergleichbarer kreativer Kraft, die das Gedächtnis stärkt, Träume verdeutlicht und Bildern Substanz gibt.“ dem Film  Notre Musique von Jean Luc Godard (2004)

Wenn wir eine Zeitschrift in die Hand nehmen, sehen wir alle zuerst und zu aller erst:

das Cover. Das Cover der Nr. 19 (die Seiten 1 und 68) ist wie jedes Cover auch ein Bild mit/aus Schrift, es wurde jedoch KOLLEKTIV erarbeitet, und aus diesem Grund möchte ich mich noch einmal auf dieses Umschlagbild stürzen. Ich halte es für besonders erwähnenswert.

Dieser  kurze Text ist auch mein Ergebnis des Workshops, der emanzipatorische Bildproduktion zum Thema hatte und an dem ich eigentlich nicht und aber doch teilgenommen habe – wir leben in paradoxen Zeiten. Ich stelle hiermit die These auf, dass dieses Cover-Bild bzw. seine Produzent/innen deshalb der Sichtbarkeit, der Nennung in Nr. 19 entgangen sind ( im Gegensatz zu den Autor/innen der Bilder im Heft-Innenteil ) weil dieses Bild gemeinsam erarbeitet wurde. Mir war es möglich am Entstehungsprozess der Seiten 1/68 teilzuhaben – deshalb sei davon erzählt ( und auch nochmals auf die nette Bildproduktions-Idee der Grundrisse Redaktion hingewiesen, zum Zwecke der Cover-Gestaltung Kleidungsstücke einzusenden ):

Nicht handgestrickte, dafür aber rosarote Socken mit dem in ihren Bündchen eingewirkten Wort „ACTION“ dienten als Abbildungs-Objekt für das Umschlagbild. Während einer Grundrisse- Sitzung wurde im Kreise mehrerer  Redaktions- Mitarbeiter/innen anhand des Materials ( Fotos: Andrea Salzmann / Socken: getragen und gebracht von einer Aktivistin ) diskutiert und schließlich basis-demokratisch beschlossen, aus welchem der vorhandenen Fotos das Cover-Bild des nächsten Heftes fabriziert werden sollte.  Eine weiterführende Bearbeitung des Fotos wurde ebenso beschlossen und später auch durchgeführt ( von Andrea Salzmann, Birgit Mennel, Karl Reitter).

Bei diesem  Cover der Nr. 19  könnte man sogar,  so denke ich, von einem gelungenen Beispiel für „Récup Art“ ( Recycling Kunst ) sprechen. Das, was die einen vielleicht eher als Mist bezeichnen würden ( so in der Art: das ist ja nur ein Stück abgewetzter Fetzen, gut genug zum Wegwerfen, oder auch:  das ist ja nix als eitler Aktivist/innen- Tand ), das bekommt dadurch, dass man/ Frau es in einen anderen Kontext stellt, einem ästhetischen Verfahren unterzieht, eine andere Bedeutung. Hier wurde eben ein gebrauchtes Ding nicht gleich einfach aus dem ökonomischen Kreislauf ausgeschieden oder vernichtet, sondern kreativ verwandelt, einer neuen Nutzung zugeführt. Mir scheinen schließlich drei Aspekte in diesem Sockencover-Fall bemerkenswert zu sein:

1. Der Gegenstand ( die „Action-Bündchen“ ), der abgebildet wurde, verweist uns zunächst ganz anschaulich auf die Wichtigkeit des „Bündchen-(Ab-)Bildens“ im Zeitalter der dahin schleichenden Zersplitterung ( Ihr kennt alle den Spruch „Bildet Banden!“, der hiermit quasi performativ transformiert wieder ausgesprochen wurde ) Man könnte allerdings auch in der Vergrößerung des Gegenstands die Absicht oder die Aufforderung dazu erkennen, bestehende Bünde/Banden quasi unter die Lupe zu nehmen, also kritisch zu betrachten. Ein treffendes Abbild unseres Status Quo also!

2. Das Cover,  das man aber auch ganz allgemein als Schriftbild lesen kann, wirft so gesehen auch die Frage nach einem grundsätzlichen Zusammenhang zwischen Schrift und Bild auf –  ein Zusammenhang, der letztlich eine Grundlage einer jeden Zeitschrift, also auch eine Grundlage der Grundrisse bildet. Auch wenn sich die Herausgeber/innen einer Zeitschrift dazu entschließen sollten,  überhaupt keine Bilder zu veröffentlichen – es bleibt immer die Arbeit an einem Schrift-Bild bestehen ( und überhaupt, ob nun Schrift oder Bild: beides verlangt natürlich danach gelesen zu werden! )

3. Schließlich steckt in der ausgeschnittenen, vergrößerten und gedruckten Sockeninschrift - man kann dieses Grundrisse- Titelblatt ohne weiteres so lesen – der Hinweis auf einen historischen Zusammenhang : „...die marxistische Schreibweise (ist) mit Aktion verbunden ...“ ( schreibt Roland Barthes in seinem Essay „Politische Schreibweisen“ aus dem Jahr 1953 in „Am Nullpunkt der Literatur“  auf  S. 25 ).

P.S. noch etwas zu emanzipatorischer Bildpolitik: es sei darauf aufmerksam gemacht, dass es in Wien ein Kollektiv gibt, seit Jahren und erfolgreich agierend,  welches emanzipatorisch- bildpolitisch  kämpft: das Kollektiv kinoki. Es scheint nur so, dass innerhalb der Linken von der „Linken“ nicht wahrgenommen wird (werden will ? oder kann? ) was die „Rechte“ macht (und/oder umgekehrt ).  Mir kommt es oft so vor!

P.P.S.: die Aussage in der Vorbemerkung zum Lesekreis, dieser Kreis wäre im Sommer 2006 sanft entschlummert, ist aus meiner Sicht – pardon! – blanker Unsinn. Denn wäre dies wirklich geschehen, dann gäbe es den Text nicht, zu dem da etwas vorbemerkt werden konnte und wurde. Was ist ein Lesekreis ?

Der Spruch der Sans Papier muss auch heißen: „Alle die hier sind, sind von hier“.

P.P.P.S.: „Sosehr die Sprache der Französischen Revolution emphatisch ist, sosehr wird die marxistische aus Litotes gebildet“ ( Roland Barthes, siehe oben, S. 24 )

Wenn Karl Reitter also,  wie es im Editorial heißt, “anhand des Mitleid-Begriffes bei Spinoza und Nietzsche gegen die Unmöglichkeit eines emanzipatorischen Anknüpfens an Nietzsche“ argumentiert – heißt das nicht auch,  anders formuliert,  dass Karl Reitter minimal FÜR ein Anknüpfen an Nietzsche argumentiert, dies aber nicht eingesteht ?

P.P.P.P..S.: Auch die Behauptung im Editorial, Lisbeth K.  hätte Bildstreifen produziert, zwingt mich sie zu hinterfragen:  Anstatt die Wirklichkeit zu beschreiben, nämlich diejenige eines Prozesses der Produktion von Bildstreifen, der wieder einmal stattgefunden hat ( denn es handelt sich ja um eine „alte“ und meines Erachtens überdenkenswerte Praxis der Grundrisse, Bildstreifen herzustellen ) gibt man kurzerhand der Filmemacherin/ Laufbild- Produzentin, welche Material zur Verfügung stellte, „die Schuld“ - sprich: den Namen „Bildstreifenproduzentin“ - und nicht etwa dem oder den wirklich dafür Verantwortlichen (der Redaktion). Wie ich diese Schreibweise am liebsten nennen möchte, schreib ich lieber nicht - aber da wird doch eine Praxis, die man selbst betreibt, (einer) anderen in die Schuhe geschoben.  

P.P.P.P.P.S.: Wäre es nicht hilfreich statt von einer “Redaktion” von einer “Plattform” Grundrisse zu sprechen ? Der Vorschlag kommt von Birgit Mennel. Vielleicht bekommt er auf diese Weise, schrift-körperlich ausgedrückt,  mehr Gehör und Gewicht.

Vielleicht muss man/ Frau aber  körperlich anwesend sein, bei Sitzungen, und den

Stuhlboden durchsitzen und möglichst laut und schnell schreien, mit allem was der Körper da zu bieten hat, damit man/ Frau gehört wird oder ( wie ich gehört hab ) damit man/ Frau sich durchsetzen kann, ja sogar MUSS.  Durchsetzen durch was hindurch eigentlich ?

Wer hört, muss auch noch fühlen! 

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ISSN 1814-3164 
Key title: Grundrisse (Wien, Online)

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