home wir über uns abos wo kaufen termine links search

alle ausgaben
texte / autorIn
andere texte
rezensionen
werbematerial
English articles
Kontakt

Franz Naetar: Das grundrisse Seminar in Hegymagas (Balaton, Ungarn)

Vom 18.8 – 20.8. 2003 veranstaltete die grundrisse Redaktion ein Seminar zum Thema „Klassentheorie“ in Hegymagas, unweit von Szigliget am Balaton, Es gab zahlreiche Anmeldungen und so wurde das Seminar für 14 TeilnehmerInnen geplant. (Im Gegensatz zu den meisten Redaktionssitzungen meldeten sich auch eine Reihe von Teilnehmerinnen – kleines i – an.)

Die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse, zunehmend durch „atypische Beschäftigung“ meist prekärer Natur gekennzeichnet, wirkten sich auch auf das Seminar über Klassentheorie aus. Einige TeilnehmerInnen hatten über Nacht einen wichtigen Auftrag zu erledigen, andere erkrankten Wochen vor dem Seminar und mussten die versäumte Zeit während des Seminars nachholen. Krankheit und nicht verschiebbarer Urlaub schlugen ebenfalls zu und ließen die Teilnehmerzahl auf sechs schrumpfen.

Dieser „Misserfolg“ hinderte die Teilnehmer aber keineswegs, voller Enthusiasmus und im schattigen Teil des Garten sitzend, eine Debatte auf hohem Niveau über „Klassen“ zu führen. Allerdings wurde auch beschlossen, beim nächstjährigen Seminar schon im Vorfeld einen Unkostenbeitrag einzukassieren, um die Interessenten daran zu erinnern, dass das Kopieren und Verschicken des readers auch dann Kosten verursacht, wenn man am Seminar nicht teilnimmt. (Wertgesetz schau oba!)

Natürlich wurde nicht nur debattiert und – siehe Bild – Mineralwasser getrunken, sondern auch in den Weinbergen von Hegymagas gewandert,  der gute und billige Wein ausprobiert und die lokalen sowie internationale Köstlichkeiten verspeist. (Neben einem bárán pörkölt – Lammgulasch - von einem Nachbarn zubereitet, kochte Karl Reitter – der Fotograf des Fotos - sein köstliches tandoori chicken.).

Jedenfalls wurde beschlossen, auch nächstes Jahr ein grundrisse Seminar im Sommer abzuhalten (voraussichtlich wieder in Ungarn).

Die Redaktion hatte einen umfangreichen reader mit Texten zur Klassentheorie vorbereitet und an die Teilnehmer versandt. Für interessierte Leser ein Inhaltsverzeichnis des readers:

Methodisches: ArbeiterInnenklasse zwischen Statistik und Kampf

a)     1. E.P. Thompson: Einleitung zu Entstehung der englischen Arbeiterklasse, Suhrkamp
2. Mario Tronti: 8. Die Formen des Kampfes und 9. Die Arbeit als Nicht-Kapital
aus: Arbeiter und Kapital, Verlag Neue Kritik 1974
3. Robert Kurz: Die Krise der Gewerkschaftsbewegung und des Klasseenkampfs. 
http://www.giga.or.at/others/krisis/r-kurz_krise-der-gewerkschaftsbewegung.html
4. M. Koch: IV. Klassen im modernen Kapitalismus: Nicos Poulantzas,
5. M. Koch: V. Wrights „Analytischer Marxismus“,
beide aus M. Koch: Vom Strukturwandel einer Klassengesellschaft, Westfälisches Dampfboot, 1998

b)    1. Sergio Bologna: Zusammensetzung der Arbeiterklasse und Theorie der Partei an den Anfängen der Rätebewegung, aus: Bolgna/Cacciari, Zusammensetzung der Arbeiterklasse und Organisationsfrage, Merve Verlag 1973
2. Marcel van der Linden: Die Geschichte der Arbeiterinnen und Arbeiter in der Globalisierung,
aus: Sozial.Geschichte,  Februar 2003, Heft 1

Bourdieu:

M. Koch: VI: Die symbolische Dimension der Klassenkämpfe: Pierre Bourdieu, siehe oben

 

Holloway:

a)     J. Holloway: Kap. 8: Das kritisch-revolutionäre Subjekt, aus: Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen, Westfälisches Dampfboot 2002

b)    Karl Reitter: Wo wir stehen Überlegungen zu John Holloways Buch „Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen“, grundrisse Nr. 6

 

Vom Klassenkampf zur Subjektivität:

a)     1. Hito Steyerl: Die Artikulation des Protestes
2. Katja Diefenbach: Neue Engel, Vom Glück, kommunistisch zu sein: die Vielheit im Empire,
beide auf http://www.republicart.net

b)    Roberto Battaggia: Massenarbeiter und gesellschaftlicher Arbeiter,
http://www.wildcat-www.de/zirkular/36/z36batta.htm

 

Massenintellektualität/Postfordismus:

a)     1. W.F.Haug: „General intellect“ und Massenintellektualität, Das Argument 235, S 183-203
2. Thomas Atzert / Jost Müller: Empire und konstituierende Macht der Multitude, Interview mit Toni Negri, ID Verlag
3. Maurizio Lazzarato:  Immaterielle Arbeit, aus Umherschweifende Produzenten, ID Verlag

b)    Karl Marx: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie (Rohentwurf) - Maschinenfragment, http://www.copyriot.com/unefarce/no1/artikel/kalle.htm

c)     Joachim Hirsch:  Postfordismus: Dimension einer neuen kapitalistischen Formation, aus: Hirsch/Jessop/Poulantzas, Die Zukunft des Staates, S. 175-209, VSA Verlag 2001

d)    1. Manfred Moldaschl: Ökonomien des Selbst, aus: Klages/Timpf (ed.) Facetten der Cyberwelt, VSA Verlag 2002
2. D.ietmar Lingemann: Die veränderte Verwertung des Subjektiven als Grundlage eines neuen Akkumulationsregimes, http://www.andere-zeiten.de/Archiv/00_1/Verwertung.htm

 

Weitere Texte, die in der Vorbereitung gelesen wurden aber nicht in den reader kamen:

a)     Sergio Bologna: 10 Thesen über selbständige Arbeit

b)    Antonio Negri: Zwanzig Thesen zu Marx – Interpretation der heutigen Klassenlage, http://www.rosa-luxemburg-gesellschaft.org/materialien/Negri.pdf

 

Resultate des Seminars?

Wie die vorliegende Nummer der grundrisse zeigt, war die Lektüre der Texte und das Seminar selbst jedenfalls Anregung für die etwas ausführlichere Darlegung von Positionen einzelner Teilnehmer. Und es werden weitere folgen.

Wie nicht anders zu erwarten, waren und sind die Positionen zur Frage der Klassentheorie bei den Teilnehmern nicht nur verschieden, sondern es war auch die einhellige Meinung nach dem Seminar, dass man vor allem erfahren hat, was man alles nicht weiß, beziehungsweise was man in Frage stellen sollte. Gewissheiten gibt es wenige.

Welche Themen wurden relativ einheitlich bei den Teilnehmern eingeschätzt?

Eine soziologische „Klassenanalyse“ hat unterscheidet sich nicht von bürgerlichen Schichttheorien.

Eine Reihe von Texten des readers versuchte, aufbauend auf dem Begriffsapparat des „Kapitals“ und darüber hinausgehender Überlegungen die klassenmäßige Schichtung der Bevölkerung in den entwickelten Ländern zu  analysieren. Sie stellen dabei fest, dass es zwischen Proletariat und Bourgeoisie Zwischenschichten gibt, die in unterschiedlichem Ausmaß ausgebeutet werden. Weiters versuchen die Autoren eine zahlenmäßige Abschätzung von Zugehörigkeiten der europäischen und insbesondere deutschen Bevölkerung zu einer dieser Gruppen durchzuführen.

Manche Texte meinten darüber hinaus eine Korrelation zwischen „Proletarität“ (Nähe der Schicht zum Proletariat) und Bewusstsein nachzuweisen zu können und führen einen „Bewusstseinskoeffizienten“ (Nähe oder Ferne der Positionen zu einem Arbeiterstandpunkt?!) ein, der die Haltung der verschiedenen Schichten zum herrschenden System messen soll. Die „Messung“ des Koeffizienten wurde mit genormten Fragen zum politischen und ökonomischen System durchgeführt. Wie nicht anders zu erwarten, ergab sich bei den proletarischen Schichten größere Übereinstimmung mit der „Arbeitereinstellung“; ihr „Bewusst­seinsindex“ wurde mit 5,7 gemessen, jener der Bourgeoisie mit 2,5.

In der Debatte am Seminar wurde folgendes dazu festgestellt:

1.      Schon die statistischen Grundlagen sind mehr als zweifelhaft. So ist hat die Einteilung Industrie, Dienstleistung; Arbeiter, Angestellte; Arbeitnehmer, Selbständige in bezug auf Ausbeutung durch das Kapital nur wenig Aussagekraft und verliert diese darüber hinaus auch zunehmend durch die Ausweitung atypischer Beschäftigungsverhältnisse.

2.      Wird der Begriff des Proletariats mit den „produktiven Lohnarbeitern“ und Bourgeoisie mit der herrschenden Kapitalistenklasse wie z.b. bei Poulantzas gleichgesetzt, dann fallen bei dieser Definition wohl 80% der Bevölkerung aus den Hauptklassen heraus.
Versucht man dann Zwischenschichten einzuführen, die „mehr oder weniger des Wertes ihrer Arbeit“ (nicht Arbeitskraft) auf dem (Arbeits-)Markt realisieren können – wie das in verschiedenen Theorien des soziologischen Marxismus versucht wird, erhält man ein Kontinuum von Schichten, hinter denen der Antagonismus von Kapital und Arbeit zu verschwinden scheint.

3.      Eine Klassenanalyse, die nicht mit Klassenauseinandersetzungen verbunden ist und nur objektivistisch die Schichtung der Bevölkerung und ihr „Bewusstsein“ misst, unterschiedet sich nicht von üblichen bürgerlichen Schichttheorien. „...man kann nicht verstehen, was die Arbeiterklasse ist, wenn man nicht sieht, wie sie kämpft.“ (Mario Tronti)

Totalisierende Sichten von Kapitalismus und/oder  Proletariat scheitern

Wenn in Details auch verschieden: Übereinstimmung gab es Seminar, dass eine Sichtweise des Kapitalismus, die aus ihm einen einzigen Verblendungszusammenhang, ein automatisches Subjekt (Krisis Gruppe) macht, in dem kein Widerspruch möglich ist, jede revolutionäre Subjektivität – sei es die des Proletariat oder sonst eine – unmöglich macht.

Da in einer Welt, die vollständig dem kapitalistischen Wertgesetz untergeordnet ist, auch der antikapitalistische Theoretiker nicht existieren könnte, wird ein dennoch existierender Kritiker notwendigerweise zum Heroen, der sozusagen im theoretischen Alleingang den Kapitalismus aushebeln kann. Aus einer totalisierenden Sicht der objektiven Gesetzmäßigkeit entspringt der subjektive Eskapismus.

Nicht anders geht es der Theorie der revolutionären Klasse, dem Proletariat, dem Subjekt der Revolution, das schon objektiv durch seine Klassenlage dafür bestimmt ist, das revolutionäre Subjekt zu werden: „Die Hoffnungen, die Marx und alle seine Nachfolger auf die volle Herausbildung der Arbeiterklasse setzten und setzen, haben sich nicht nur zufällig historisch blamiert und dabei Kilometer von weltleeren, scholastischen Meditationen über ‚Klasse an sich’ und ‚Klasse für sich’, empirisch konstatierbares Bewusstsein der Arbeiterklasse versus mittels organisierter Avantgarden zu produzierendes, wahres, echtes oder auch eigentliches Klassenbewusstsein (‚historische Mission’ inklusive) ausgeschwitzt. Auch die konträre Rede von der Verbürgerlichung der Arbeiterklasse ist um nichts sinnvoller. Zutreffender müsste nämlich von der Verarbeiterklassung der Arbeiterklasse gesprochen werden.“ (Bernhard Dorfer in seinem Brief an die Teilnehmer des grundrisse Seminars, in dieser Nummer abgedruckt)

„Der alltägliche ‚Kampf gegen das Klassifiziert-Werden’ (John Holloway), die alle geschichtlichen Epochen begleitende, manchmal sogar diese antreibende oder gar produzierende ‚Flucht zur Freiheit’ (Holloway), kurzum der Widerstand der Unterdrückten oder mit Negri die ‚Kreativität der Menge’...“ spielt bei diesen Theorien keine Rolle, schreibt Martin Birkner in seinem Artikel in dieser Nummer, die aus einem Referat am Seminar hervorging.

Zwei Ansätze zur Überwindung der Sackgasse

Im Verlauf des Seminars, aber auch in Artikeln der grundrisse kristallisieren sich zwei Ansätze heraus, die Sackgasse, in der sich die Klassentheorien zu befinden scheinen, zu überwinden. Die eine Sicht ist am ehesten mit den Namen „John Holloway“ verbunden, aus dessen Buch „Die Welt zu verändern, ohne die Macht zu übernehmen“ das Kapitel 8 „Das kritisch-revolutionäre Subjekt“ in den Seminar reader aufgenommen wurde.

Klasse und Klassenkampf als notwendiges Konzept, um reale Kämpfe verstehen zu können.

Wie Karl Reitter am Seminar meinte: „Klassenantagonismus drückt sich in einem ‚Das will ich nicht sein’ aus. Wenn Marx irgendwo schreibt, es sei ein Pech, Proletarier zu sein, so ist es klug, das nicht als lapidare Bemerkung zu nehmen, sondern als Ausdruck eines Strebens, dieses Pech zu überwinden. Klassenbegriff also aus der Perspektive des Nein, des Schreis, zu denken, bedeutet, es aus der Perspektive des Tuns zu denken. (Fast wörtlich, Holloway Seite 35) Tun konzipiert als transzendierend, weltüberschreitend, weltentwerfend. (Parallelen zu Marcuse (Eindimensionalität, ‚Abriegelung’; zu Castoriadis, Tun als Schöpfung).“(aus den Notizen zum Referat)

Dieser Klassenantagonismus erhebt sich bei Reitter aus dem „Doppelcharakter“ der wichtigsten gesellschaftlichen Verhältnisse, aus den Entgegensetzungen von konkreter Arbeit und abstrakter Arbeit; Staat und Gesellschaft; Gesellschaft und Gemeinschaft.(Siehe dazu auch seinen Artikel über logische und historisches Rezeption des Kapitals in dieser Nummer.)

Holloway bezeichnet den Doppelcharakter der Arbeit schematisch folgendermaßen:

Gebrauchswertdimension: power-to-do (creative Macht; potentia)
Tauschwertdimension: power-over (instrumentelle Macht; potestas)

Reitter meint schließlich:

„Es ergibt sich folgendes Resultat: Wenn nicht gezeigt werden kann, daß der Klassenbegriff für das Begreifen der gesellschaftlichen Wirklichkeit, insbesondere der Kämpfe, Konflikte und emanzipatorischer Bestrebungen wesentlich ist, ist er wirklich in Frage zu stellen. (Das ist dem empirischen Hinweis, es gäbe Nichtlohnarbeit in relevantem Maße, methodisch geradezu entgegengesetzt.) Weiters: Klasse und Klassenkampf ist zu ent-empirisieren. Ebenso wie der Wert keine empirische Kategorie ist, sondern umgekehrt Phänomene wie Ware und Geld des Wertbegriffs bedürfen, um diese analysieren zu können, sind Klasse und Klassenkampf keine empirischen Begriffe, sondern notwenige Konzepte, um reale Kämpfe verstehen zu können. Das ist freilich kein wirkliches Ergebnis, sondern mehr ein methodischer Leitfaden, der wohl mehr Fragen aufwirft, als Lösungen anzubieten.“

Wer produziert das Kapital? Wer ist unter es subsumiert?

Der zweite Ansatz ist mit den operaistischen Ansätzen – siehe dazu in dieser Nummer den Artikel von Martin Birkner – und Antonio Negri verbunden. Dieser Ansatz reflektiert einerseits die geänderte „Klassenzusammensetzung“ und die damit einhergehenden sich ändernden Subjektivitäten im Kapitalismus - Stichwort: Multitude, immaterielle Arbeit usw., versucht aber auch andererseits einer Fragestellung nicht auszuweichen, die bei den Überlegungen von Holloway, keine Bedeutung zu haben scheinen, nämlich: Wer produziert das Kapital? Wer ist die produktive Klasse heute? Wie wirkt sich der Übergang von der Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft auf die Klassenkämpfe aus? Ändert sich die Wertform, das Wertgesetz?

Am Klassenseminar wurde dabei auf einen weniger bekannten und zugänglichen Artikel von Antonio Negri  Bezug genommen, den „Zwanzig Thesen zu Marx – Interpretation der heutigen Klassenlage“.

Ausgehend von seiner These, dass einerseits tendenziell die ganze Gesellschaft und das Kapitalverhältnis subsummiert ist, andererseits die soziale Kooperation und Kommunikation abseits der Maschinerie der entscheidende Träger der Produktionsweise wird, meint Negri, dass:

„bereits während der zweiten industriellen Revolution und besonders beim Übergang vom professionellen zum Massenarbeiter wichtige Merkmale der Werttheorie verblassen. Die Unterscheidung zwischen ‚einfacher Arbeit’ und ‚gesellschaftlich notwendiger Arbeit’ verliert jede Bedeutung  (auch wenn sie weiterhin absurde Streitereien anregt), was die Unmöglichkeit zeigt, die Genealogie sozial notwendiger Arbeit zu bestimmen; und was am wichtigsten ist, die Unterscheidungen zwischen ‚produktiver Arbeit’ und ‚unproduktiver Arbeit’, zwischen ‚Produktion’ und ‚Zirkulation’, zwischen ‚einfacher Arbeit’ und ‚höherer Arbeit’ werden umgeworfen . Bei den Begriffen der produktiven und unproduktiven Arbeit beobachten wir schon während der zweiten Phase der zweiten industriellen Revolution und erst recht während des Beginns der dritten industriellen Revolution, wie die Begriffe vollständig durcheinander geraten: produktive Arbeit produziert nicht mehr ‚direkt das Kapital’, sondern reproduziert die Gesellschaft - so gesehen ist die Abtrennung von unproduktiver Arbeit vollständig sinnlos.“ (Negri: „These 5“)

An Marx kritisiert er die Reduktion der Wertform auf ein objektives Maß und stellt dem entgegen, dass die „Wertform immer das Ergebnis einer Beziehung (ist), die sich aufgrund der historischen Bewegung einer Gesellschaft verändert.“ Marx sei daher :

„trotz seiner kritischen Prämissen und dem Reichtum seiner Analyse gezwungen, die historische Entwicklung des Kapitals aufgrund linearer Tendenzen der Akkumulation zu betrachten; und diese Reduktion hinderte ihn daran, die Bewegungen des Klassenkampfes im Licht von Katastrophen und Innovationen darzustellen . Selbst in prophetischen Texten wie den Grundrissen besteht für den historischen Materialismus das Risiko, eine Naturgeschichte der fortschreitenden Subsumption der Arbeit unter das Kapital zu konstituieren und die Wertform durch den progressiven, obgleich utopischen, deterministischen Prozess der Perfektion ihrer Mechanismen zu erläutern .“ (Negri: „These 1“)

Für Negri folgt aus der Ausdehnung des Arbeitsprozess auf das ganze Soziale, dass es kein Maß für die Wertgestalten gibt, dass „eine Theorie, die die unmessbare Qualität der sozialen Akkumulation messen will, sinnlos ist.“, obwohl die Arbeit weiterhin die Grundlage der Konstitution der Gesellschaft bildet.

Ausbeutung verliert daher bei Negri die quantitative Bestimmung, die sich bei Marx in der Größe des Mehrwerts im Verhältnis zum Variablen Kapital ausdrückte:

„In der politischen Konstitution des fortgeschrittenen Kapitalismus besteht die grundlegende Funktion der Macht darin, dem sozialen Prozess produktiver Kooperation das Kommando über sein Funktionieren zu entwenden  - die soziale Produktivkraft innerhalb des Rasters des Machtsystems einzuschließen. Die Zeit der Macht ist also in dem Sinne Ausbeutung sozialer Zeit, wie eine Maschine so eingerichtet wird, dass sie ihres befreienden Inhalts beraubt wird . Ausbeutung ist daher die Produktion eines Arsenals an Instrumenten zur Kontrolle der Zeit sozialer Kooperation . Die Arbeitszeit der erfüllten sozialen Kooperation wird dem Gesetz zur Aufrechterhaltung der Herrschaft unterworfen .“ (Negri: „These 3“)

Diesem geänderten Begriff der Ausbeutung stellt Negri in den Thesen das „soziale Proletariat“ gegenüber, das er schon weitgehend als die produktiven Singularitäten begreift, die er später als „Multitude“ bezeichnet.

Beide Ansätze, sowohl der von Holloway wie der von Negri weigern sich, Analysen der gesellschaftlichen Verhältnisse als Mittel von Vorhersagen über die weitere Entwicklung des Kapitalismus zu verwenden. Sie sehen ihre theoretischen Darlegungen als Ermutigungen zum Bruch mit der vorsichgehenden Entwicklung. Holloway wie Negri lehnen es ab, Tendenzen des Kapitalismus zu prognostizieren.

Während allerdings Holloway seine Einschätzung der Offenheit der Zukunft auf den widersprüchlichen Charakter des Tun selbst ableitet (power to do versus power over) sieht Negri die Offenheit der Zukunft in den Aktivitäten des „sozialen Proletariats“, das die immer parasitärer werdenden Formen der Kapitalherrschaft, die zu immer neuen Katastrophen und Innovationen führen, abschütteln kann. Für Negri besitzt die Geschichte keine innere Logik, sie entsteht beim Konflikt zwischen dem kollektiven Willen von Kapital und Arbeit. Man kann nur a posteriore (im Nachhinein) verstehen, was geschah.

Das Potential an Kommunismus in den bestehenden Verhältnissen zu zeigen, darin sehen beide die Aufgabe einer Klassentheorie heute.

phpMyVisites : Ein Open Source-Website-Statistikprogramm in PHP/MySQL veröffentlicht unter der GNU/GPL. Statistics

 
ISSN 1814-3164 
Key title: Grundrisse (Wien, Online)

Impressum 
Der Inhalt dieser Seite steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation
Webmaster: redaktion /at/ grundrisse /punkt/ net