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Gerald Raunig, „ Kunst und Revolution. Künstlerischer Aktivismus im langen 20. Jahrhundert“

Wien: Turia + Kant, 261 Seiten, 22 Euro

Mit Kunst und Revolution hat Gerald Raunig ein ausgezeichnet geschriebenes, vielschichtiges Werk verfasst, das aus den verschiedensten Blickwinkeln mit Gewinn gelesen werden kann. Thema ist einmal, wie der Titel ja nahe legt, das zu klärende Verhältnis von Revolution und Kunst. Dafür sei ein „zeitgemäßer Revolutionsbegriff“ (23) unabdingbar, der zwar knapp, aber doch in wesentlichen Grundzügen mir Rückgriff auf Deleuze, Negri, Foucault und Holloway theoretisch, und am Fall der Pariser Kommune am historischen Beispiel, entwickelt wird. An ausgewählten Exempeln wird nun der Anspruch künstlerischer Aktivität, Moment eines gesellschaftsverändernden, revolutionären Prozesses zu sein, untersucht. Der Bogen reicht dabei von den programmatischen Schriften des jungen Richard Wagners, des Kulturpolitikers der russischen Revolution Lunatscharski, über die Figur des Courbet, dem „deutschen Aktivismus“ der 1910er Jahre, über die Aktivitäten von Eisenstein und Tretjakow, der situationistischen Internationale, dem „Wiener Aktionismus“ bis hin zu den Unternehmungen der Volxtheaterkarawane und dem no border, no nation Grenzcamp 2002 bei Strasbourg. Die Darstellungen sind sehr plastisch, spannend, detailreich und in keinem Fall beschönigend. Zugleich ist Kunst und Revolution auch eine eloquente Anwendung der Begriffsmaschine, die von Guattari und Deleuze in Schwung gebracht wurde, - wenn ich das mit leiser Ironie so sagen darf. Gekerbte und glatte Räume, revolutionäre Maschinen und die Kunstmaschine, der orgische Staatsapparat, negative und transversale Verkettungen: auf diesen Begriffen beruhen die tragenden Aussagen von Kunst und Revolution. Wer nun befürchtet, Kunst und Revolution sei nur für hartgesottene Fans von Tausend Plateaus (einem Hauptwerk von Deleuze und Guattari) lesbar, denen sei gesagt, dass Raunig seine Thesen klar und verständlich formuliert ohne explizite Kenntnisse vorauszusetzen. Der Autor presst auch keineswegs das Material in einen vorgefertigten Begriffsraster. In gewisser Weise argumentiert Raunig von den Resultaten her für sein Begriffsvokabular: Um das Verhältnis von Kunst und Revolution kritisch darstellen zu können, würde der zentrale Begriff der Maschine benötigt: Nicht der Begriff drängt zum Resultat, das Resultat drängt zum Begriff.

Bevor wir uns der Frage zuwenden, ob sich das Spannungsverhältnis von Revolution und Kunst tatsächlich so elegant und glatt in die Begrifflichkeit von Deleuze und Guattari auflösen lässt, einige Worte zum Ergebnis selbst. Zumindest drei Konzeptionen werden von Raunig klar verworfen. Erstens: Kunst kann nicht darin bestehen, vorgeblich revolutionäre Inhalte zu propagieren und gleichzeitig die Form in der Kunst produziert und konsumiert wird, als unwesentlich auszublenden. Wird die Form ignoriert verkommt Kunst zum bloßen Appell und zur Propaganda. Zweitens: Auch die bloße Umkehrung ist unannehmbar. Kunst kann nicht reine ästhetische Form sein und in dieser Funktion als Musterbild für das Lebens fungieren. Die Kunst als Leben und das Lebens als Kunstwerk ineinander übergehen zu lassen, kann nur zu einem elitären Gestus führen. Drittens, und dieser Punkt hängt mit dem zweiten eng zusammen, spricht sich Raunig klar gegen eine Avantgardefunktion der Kunst aus: „Wenn hier und anderswo in situationistischen Schriften immer noch Restbestände der pathetischen Rede von der Kunstavantgarde durchklingt, ist das nicht zuletzt dem Konzept einer gleichsam linearen Vorstellung der Entwicklung geschuldet, die in der Revolution beendet, was in der Kunst begonnen hat.“ (168) Die Ausblendung des Wie (Form) und die einseitige Konzentration auf das Was (Inhalt), affirmiere notgedrungen die Gestalt des universellen und sich als außerhalb von gesellschaftlichen Bezügen imaginierenden Intellektuellen. Doch diese Figur sei obsolet: „Im postfordistischen Setting des kognitiven Kapitalismus zeichnet sich eine Auflösung der Wissensproduktion als Privileg von Intellektuellen ab, zugleich eine zunehmende Diffundierung der ‚Macht der Wahrheit’ in die Gesellschaft.“ (123) Es gehe also nicht darum, die „medialen und politischen Strukturen … mit immer neuen Inhalten zu beliefern, sondern die Belieferung zu verweigern, aus der Maschine des Spektakels zu verschwinden, das Spektakel zu verraten.“ (120) Und nochmals glasklar und unmissverständlich: „Nicht im Kampf der Intellektuellen um Hegemonie in den Mainstream-Medien liegt also der Schlüssel zur Veränderung, sondern in einer Verweigerung dieses Schaukampfes, einer Verweigerung der Rolle von KommentatorInnen und StichwortgeberInnen im Rahmen von medialen Spektakel.“ (121)

Statt Hegemonie auf dem bestehenden Terrain anzustreben, statt der künstlerischen Darstellung von Situationen gehe es um die Herstellung von Situationen. Kunst sei als realer räumlich-zeitlicher, affektiver wie intellektueller Prozess zu denken. Es gehe auch nicht um ein Verschmelzen des künstlerischen und revolutionären Prozesses, sondern um temporäre Überlappungen, um zeitweises Durchdringen und Ineinandergreifen, ohne deswegen die Eigenlogik von Kunst und Revolution aufzuheben. Als positives Beispiel für die „temporärere Ununterscheidbarkeit von Kunstmaschine und revolutionärer Maschine“ (200) führt Raunig die Praxis der Volxtheaterkarawane an. Die Herstellung von Situationen sei dabei nicht nur als Außenwirkung zu begreifen, auch und gerade die Selbsttransformation aller Beteiligten sei relevant. Etwas pathetisch meint daher der Autor, „Gesellschaftskritik, Institutionenkritik und Selbstkritik … konvergieren in der Praxis des Volxstheaters … im Konzept der parrhesia, das Michael Foucault 1983 in seinen Berkeley-Vorlesungen einführt, um seine Theorie von der unauflösbaren Verknüpfung von Macht- und Selbsttechniken in produktive Bahnen zu lenken.“ (192) Zusammengefasst stellt sich das Verhältnis von Kunst und Revolution etwa so beschreiben: Kunst und Revolution berühren und durchdringen sich im Prozess des kreativen Schaffens von Situationen. Darin ist die Veränderung der Beteiligten ebenso inkludiert, wie die Weigerung, am „Spektakel“ der öffentlichen medialen Inszenierungen teilzunehmen.

Im Grunde ist das Verhältnis von Kunst und Revolution dadurch entschieden, dass es sich in beiden Fällen um Maschinen handelt. Auch wenn ich jetzt einiges symbolisches Kapital verspiele, sage ich es offen, ich stehe dem Maschinenbegriff eher ratlos gegenüber. Einiges kann ich mir darunter durchaus vorstellen. Aus dem Abschnitt zum „zeitgemäßen Revolutionsbegriff“ wird klar, dass Raunig einmal prinzipiell an der Entgegensetzung von Vermögen einerseits und Gewalt andererseits anknüpft. „Im Gegensatz zu Proudhon besteht Holloway daher – unter Rückgriff auf Spinozas Begrifflichkeiten – darauf, dass potentia (also ‚kreative’ oder konstituierende Macht) keine Alternative ist, die mit potestas (‚instrumentelle’ oder konstituierte Macht) einfach nur in friedlicher Koexistenz lebt.“ (41) Aus dieser Perspektive kann nicht nur gezeigt werden, warum die Staatsgewalt (potestas) kein Mittel zur Emanzipation sein kann, die angesprochene Entgegensetzung zweiter unterschiedlicher Machtbegriffe ordnen den Maschinenbegriff auch eindeutig in das Feld der sich entwickelnden Vermögen der Menge. Der Begriff der Maschine erscheint also an die spinozistische Konzeption der Verkettung und Verknüpfung der Körper/Ideen angelehnt. So weit, so klar. Wenn der Begriff der Maschine (zumindest auch) aus der Perspektive Spinozas erhellt werden kann, so stellen sich gerade dadurch zwei Einwände, auf die ich im Buch von Gerald Raunig keine Antwort gefunden habe.

Erstens: Spinoza erkennt eine dynamische Verkettung unserer Körper/Ideen. (Der Querstrich will ausdrücken, dass Geist und Körper nur zwei Seiten des Selben sind; was mit dem Körper geschieht, geschieht mit dem Geist und umgekehrt) Unser Sein ist expansiv und begehrend: „Der Geist strebt, soviel er vermag, sich das vorzustellen, was das Tätigkeitsvermögen des Körpers vermehrt oder fördert.“ (Ethik, III. Buch, Lehrsatz 12) Spinoza formuliert diese Bedingungen mittels Konditionalsätzen: „Wenn … dann…..“ Die Verkettung von Erinnerung, Assoziation, Steigerung des Tätigkeitsvermögens des Körpers/Geistes ist zum einen graduell zu fassen, daher haben zahlreiche Aussagen in der Ethik die Form des „Je… desto…“ Im Maschinenbegriff, so wie ihn Raunig verwendet, meine ich einiges an spinozistischen Gedanken erkennen zu können. Daher ist am Maschinenbegriff nichts mechanisches, da greifen keine Zahnräder ineinander, sondern es werden dynamische Bedingungen der Steigerung oder Verminderung des realen Vermögens, der kreativen, konstitutiven Macht formuliert. Bis zu diesem Punkt habe ich vorerst keine Einwände. Allerdings unterscheidet Spinoza die zwei Dimensionen der Autonomie und der Heteronomie. Er unterscheidet zwischen Handeln und Erleiden, zwischen Freiheit („Frei heißt ein Ding, das nur aus der Notwendigkeit seiner eigenen Natur heraus … zum Handeln bestimmt wird“) und Gezwungenheit, („gezwungen heißt ein Ding, das von einem anderen bestimmt wird, auf gewisse Weise … zu wirken.“ Ethik Buch I Definition 7) Dieser Entgegensetzung durchzieht die gesamte Ethik und wird sowohl auf dem Gebiet der Erkenntnisse (adäquate Ideen, inadäquate Ideen) als auch auf dem Gebiet der Körpervermögen relevant. Wenn ich diese Konzeption etwas salopp in die Sprache der Maschinenbegrifflichkeit übersetze so bedeutet dies, dass innerhalb der Maschinen zwei entgegen gesetzte Mechanismen wirksam sind, die Dynamik der Befreiung und die Dynamik der Knechtschaft. Diesen inneren Widerstreit kann ich am Maschinenbegriff in Kunst und Revolution nicht erkennen; fällt der Maschinenbegriff also hinter die Einsichten Spinozas zurück? Der Maschinenbegriff kann zwar immer noch den grundlegenden Prozess der Befreiung als konkreten, realen, unrepräsentierbaren und Körper wie Ideen gleichermaßen umfassende Setzung formulieren und ist so gesehen den sozialtechnischen Zugriffsphantasien auf den Staatsapparat haushoch überlegen; die kritische und selbstkritische Dimension fehlt vorerst. Was fehlt, muss dann wieder hinzugefügt werden. Das Debakel der „Kunst und Revolution“ Veranstaltung am 7. Juni 1968 als „negative Verkettung“ erklärend begrifflich zu fassen, überzeugt mich nicht wirklich. Die Protagonisten (hier ist die rein männliche Form wohl angebracht) des Wiener Aktionismus zeichneten sich, meiner Auffassung nach, durch grenzenlosen Zynismus und Verachtung der andren ebenso aus, wie durch grandiose Selbstbeweihräucherung, gewürzt mit einem Schuss Selbstzerstörung, ein Triumph der negativen Affekte. Und was die „Praxis der Parrhesia“ der Volxtheaterkarawane (…parrhesia meint im Griechischen so viel wie die Tätigkeit eines Menschen, ‚alles zu sagen’…“) (193) betrifft, so vermute ich erstmals einen sehr körperlosen Ausgangspunkt, der mit dem Konzept der Parrhesia gesetzt scheint.

Zweitens: Was ist nicht Maschine? Gibt es Bereiche, die nicht unter dem Begriff der Maschine fallen, oder ist alles Maschine? Wie steht es mit dem Verhältnis Institution – Maschine? Ist der Begriff der Maschine (irgendwie) mit Befreiung und Revolution verbunden, oder gibt es befreiende und repressive Maschinen? Gibt es auch eine Staatsmaschine und eine Gewaltmaschine? Der Prozess der revolutionären Maschine habe wohl einen Ort, wie eine Zeit, lesen wir in Kunst und Revolution, sie ist keineswegs überall und nirgendwo. Raunig ist vom alles einebnendem Machtmonismus Foucaults ebenso wenig überzeugt, wie von der These Hardt und Negris, der Widerstand sei nicht lokalisierbar. Ich stimme mit dem Raunig völlig darin überein, dass die Konstitution aus dem akkumulierten realen Vermögen der Menge entspringen muss. „Antonio Negri geht konsequenterweise auch der Frage nach, wie eine konstituierende Macht vorzustellen wäre, die nicht von sich selbst getrennte Verfassungen hervorbringt, sondern sich vielmehr selbst verfasst.“ (61) Allerdings scheint es, als ob der Autor der Problematik der Institution letztlich ausweicht. Denn auch das „sich selbst verfassen“ zeitigt einmal ein Resultat, das nicht ständig im Zustand der Verflüssigung gehalten werden kann. Daher sind Institutionen wohl schwerlich als Maschinen konzipierbar. Oder etwas schärfer formuliert: Der Begriff der Maschine findet seine Grenze und Schranke am Begriff der Institution und das wäre wohl klar auszusprechen. Spinoza wusste wohl, warum er nach der Ethik den Politischen Traktat verfasste und die Verkettung der Körper/Ideen durchaus von den gesellschaftlichen Institutionen unterschied.

Aber diese Einwände sind nur deshalb möglich, weil Raunig einen scharfen Blick für die tatsächlichen Problematiken hat. Und daher ist eine Auseinandersetzung mit seinen Thesen in jedem Falle fruchtbar.

Karl Reitter

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ISSN 1814-3164 
Key title: Grundrisse (Wien, Online)

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