home wir über uns abos wo kaufen termine links search

alle ausgaben
texte / autorIn
andere texte
rezensionen
werbematerial
English articles
Kontakt

Alex Haley (Hg.), „Malcolm X. Die Autobiographie“

Bremen: 2003, atlantik-verlag, 520 Seiten, € 19.80

Malcolm X Autobiographie ist ein höchst unzeitgemäßes Buch. Die Leser werden in eine vergangene und fremde Zeit und politische Kultur zurückgeführt: In die USA der 40er, 50er und 60er Jahre, in die Welt der schwarzen Gettos, die Welt der schwarzen Prediger und MenschenrechtsaktivistInnen, in die Welt der Vor-68er-Bewegungen. Das Leben Malcolms ist von Beginn an durch den Rassenhaß der Weißen geprägt. Sein Vater wird von weißen Rassisten ermordet, seine Mutter von mehr oder auch weniger wohlwollenden SozialarbeiterInnen letztlich in eine Nervenheilanstalt eingewiesen, seine zahlreichen Geschwister auf die verschiedensten Heime aufgeteilt, so sie nicht alt genug waren, ihre eigenen Wege zu gehen. Malcolms Platz in der Gesellschaft schien fix vorgezeichnet: ganz unten, bei den miesesten und schlechtbezahltesten Jobs. Eine Kränkung hat den späteren Sprecher der militanten Schwarzen besonders geprägt: Auf seine Überlegung hin, er könnte doch Rechtsanwalt werden, hatte sein Lehrer und Erzieher nur höhnisch geantwortet, er könne bestenfalls das Tischlerhandwerk erlernen, mehr sei für einen Nigger nicht möglich.

Zu seinem rasch wachsenden Haß auf die Weißen kam eine gewisse Verachtung für jene Schwarzen hinzu, die die Weißen nachahmen, ja sich ihren anzupassen versuchen. Ausdruck dafür war etwa der Brauch, die krausen Haare mittels heißer Lauge zu glätten. Obwohl Malcolm anfangs mitmacht, wendet er sich doch bald davon ab. Für Bildung und Reflexion hat der junge Malcolm jedoch keine Zeit, im New York der 40er Jahre gilt es in erster Linie zu Überleben und alles daran zu setzen, nicht in die Armee eingezogen zu werden. Malcolm wird rasch einer der vielen Kleinkriminellen, die von Drogenhandel, Einbrüchen und Handlangerdiensten für die großen Bosse leben und überleben. Und so landet Malcolm, wie viele andere junge schwarze Männer seiner Generation auch, im Gefängnis.

Dort beginnt Malcolm zu lesen und immer begieriger studiert er die Werke der Gefängnisbibliothek. Die für sein späteres Leben entscheidende Begegnung war jedoch der Kontakt mit Elijah Muhammad, der Führer der Nation of Islam, der offenbar geduldig jeden Brief und jede Postkarte von Malcolm beantwortete, die ihm dieser aus dem Gefängnis schreib. Daß unter den Schwarzen Amerikas der Islam verbreitet war, war an sich kein Zufall, denn nicht wenige der aus Afrika verschleppten und geraubten schwarzen Sklaven waren moslemischen Glaubens. Vor allem in Chicago existierten bereits im 19. Jahrhundert kleine schwarze muslimische Gemeinden. Die von Elijah Muhammad geführte Nation of Islam stelle ein höchst widersprüchliches und schwer zu fassendes Gebilde dar. Organisation, Auftreten und interne Strukturen entsprachen weitgehend einer Sekte Ihr Glauben beruhte auf paranoiden Konstruktionen, angeblich wurde die weiße Rasse vor 6000 Jahren auf griechischen Inseln künstlich gezüchtet und das alles soll in der Bibel und im Koran zu lesen sein. Um Muhammad wurde ein bedingungsloser Führerkult veranstaltet, sein Wort galt als heilig und unumstößlich, ebenso wie seine Person selbst. Später sollte es eines der größten Traumata Malcolms darstellen, als er erfahren mußte, daß dieser heilige Mann seine Sekretärinnen geschwängert hatte, obwohl er selbst strikte Monogamie predigte. Dennoch stellte Malcolms Bekenntnis zur Nation of Islam den ersten und somit entscheidenden Schritt seiner persönlichen Emanzipation dar. Die Lehren Muhammads – so erschien es Malcolm zumindest – ermöglichten ihn zu begreifen und auszusprechen, was die Weißen den Schwarzen angetan hatten. Daher änderte er auch seinen Namen auf Malcolm X, das X stand für die verlorene und verschütt´ gegangene Identität: „Euer Sklavenhalter hat euch hierher verschleppt und eure gesamte Vergangenheit ausgelöscht. Heute kennt ihr nicht einmal mehr eure ursprüngliche Sprache. Von welchem Stamm seid ihr? Selbst wenn ihr den Namen eures Stammes hörtet. Ihr würdet ihn nicht erkennen. Ihr weißt nichts über eure eigentliche Kultur. Ihr kennt nicht einmal den wirklichen Namen eurer Familien. Ihr tragt den Namen eines Weißen! Den Namen des weißen Sklavenhalters, der euch haßt.“ (276)

Aus dem Gefängnis entlassen wurde Malcolm X rasch zum wichtigsten Prediger und Propagandisten der Nation of Islam. Aus den zahlreichen Redepassagen, im Buch zitiert, wird klar, daß Malcolm X eine doppelte, ineinander verwobene Botschaft verbreitete. Einerseits die krausen und reaktionären Ideen der Nation of Islam, voll frauenfeindlicher und antisemitischer Elemente. Die Weißen, so schien es Malcolm X zumindest ein Zeit lang, waren tatsächlich und buchstäblich der Teufel, die Lösung konnte nur in völliger Separation von ihnen bestehen. Andererseits sprach Malcolm die Sprache des Widerstandes, der Rebellion, ungeschminkt und direkt. Im Gegensatz zu den Anhängern von Martin Luther King, der die schwarze Mittelschicht vertat, sprach Malcolm X die ärmste Schicht unter den Schwarzen an, jenes Milieu, aus dem er selbst kam.

Nicht zuletzt aus diesem Grund, und nicht nur wegen der skurrilen und in nicht wenigen Bereichen auch reaktionären Lehren der Nation of Islam, stieg auch die Zahl der Mitglieder rasant an. Wie sehr Befreiung mit Unterdrückung, Widerstand mit Unterwerfung in der wirklichen Welt verbunden und verwoben sind, zeigt die Biographie Malcolms mit aller Macht und Deutlichkeit. Es wäre ein leichtes, Malcolm und seine Botschaften schlicht als reaktionär darzustellen, an Zitaten würde es nicht mangeln. Aber wäre damit die ganze Geschichte erzählt, die volle Wahrheit getroffen? Kann das Moment des Widerstandes gegen Knechtung, Entwürdigung, Verfolgung, Ermordung, Demütigung und schlichter Benachteiligung, denen AfroamerikanerInnen seit ihrer Verschleppung als Sklaven vor 400 Jahren ausgesetzt waren und sind, einfach ignoriert werden? Befreiung und Emanzipation sind nur als Bewegung, als Prozeß denkbar. Und so war es auch bei Malcolm X. Er kam nach und nach in Konflikt mit dem eigentlichen Führer der Black Muslims, Elijah Muhammad. Nicht nur, daß dieser Malcolm seinen sichtlichen Erfolg und seine Popularität neidig war, auch trat das religiöse Moment bei den Agitationen von Malcolm X immer mehr zurück und das politische gewann die Oberhand.

Den endgültigen Bruch vollzog Malcolm X während seiner Pilgerfahrt nach Mekka. Angesichts der vielen muslimischen Gläubigen verschiedenster Hautfarben, um die Kaaba versammelt, revidierte Malcolm seinen Haß auf die Weißen. Nicht jeder Weiße war ein Teufel, nicht jeder für die Sache der Emanzipation der Schwarzen verloren. „Meine Reise nach Mekka hat mir die Augen geöffnet. Ich habe mich vom Rassismus abgekehrt. Ich habe meine Haltung neu überdacht und bin davon überzeugt, daß Weiße auch Menschen sind ... solange sie den Schwarzen ebenfalls als Menschen begegnen.“ (443) Mit dieser Haltung, mit der Malcolm in die USA zurückkehrte, war der Bruch mit der Nation of Islam nicht mehr zu kitten. Die Führung um Muhammad reagierte so, wie Sekten oft auf Abtrünnige reagieren: Malcolm, der Verräter, wurde zuerst verbal, denn physisch attackiert. Die Schüsse, mit denen am 21. Februar 1964 Malcolm X ermordetet wurde, wurden aller Wahrscheinlichkeit nach von Anhängern Elijah Muhammads abgegeben.

Malcolms Autobiographie, die eigentlich eine Biographie ist, da sie von Alex Haley geschrieben wurde, ist nicht nur ein faszinierendes Zeitdokument. Es ist auch eine Herausforderung, den Prozeß der Revolte in all seiner Widersprüchlichkeit zu begreifen.

Karl Reitter

phpMyVisites : Ein Open Source-Website-Statistikprogramm in PHP/MySQL veröffentlicht unter der GNU/GPL. Statistics

 
ISSN 1814-3164 
Key title: Grundrisse (Wien, Online)

Impressum 
Der Inhalt dieser Seite steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation
Webmaster: redaktion /at/ grundrisse /punkt/ net