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Martin Birkner: Konferenzbericht: Energie, Arbeit, Krise und Widerstand
Graz, 22.-24.1.2010

Leitende Intention der Konferenz war, ForscherInnen und (Umwelt)AktivistInnen aus den Bereichen der Basiskämpfe um erneuerbare Energien mit GewerkschafterInnen aus energieintensiven Sektoren zusammenzubringen, und aus der Perspektive der internationalen Klassenkämpfe und der sozialen  Bewegungen die Probleme und Herausforderungen einer künftigen nichtkapitalistischen und nachhaltigen Globalgesellschaft zu diskutieren. Die rund 50 Teilnehmenden waren dementsprechend aus äußerst unterschiedlichen Zusammenhängen versammelt: Der südkoreanische Autogewerkschafter traf auf die Umweltaktivistin aus Kolumbien, der bundesdeutsche linke Verkehrsexperte auf Grassroot-Alternativ-Energie-AktivistInnen …

Aus der Konferenz-Ankündigung: „Energie ist eines der wesentlichen Produktionsmittel der Weltökonomie und zugleich essentiell für ein nachhaltiges Leben. Daher ist Energie ein Schauplatz von Kämpfen und Ungleichheiten. Das Weltenergiesystem steht am Rande von großen Veränderungen, und dadurch eröffnet sich ein Feld der Möglichkeiten. So wie sich dieser Prozess der Veränderung, der noch am Anfang steht, beschleunigt und intensiviert, werden sich die Kämpfe darüber, wer den Sektor kontrolliert und für welche Zwecke Energie produziert wird, intensivieren. In den letzten Jahren hat es in diesem Bereich zunehmend Spannungen gegeben, und nun brechen diese offen aus, und werden sich im Zentrum der nächsten Runde des globalen Klassenkampfs befinden.“

Die Konferenz in den Räumlichkeiten des steirischen KPÖ-Bildungsvereins war nicht nur wegen ihrer vielfältigen internationalen und sektorialen Zusammensetzung bemerkenswert, sondern auch aufgrund der reflektierten und bemerkenswert solidarischen Form der Diskussion. Ich hätte mir zwar manchmal etwas noch schärfer akzentuierte Auseinandersetzungen gewünscht, dennoch wurden sowohl die Gemeinsamkeiten als auch mögliche Bruchstellen deutlich und somit auch diskutierbar. Dass die Gewerkschaften des Nordens gewisse Probleme mit der Auseinandersetzung mit erneuerbaren Energien haben ist nichts Neues, zumal wenn es um die Bewahrung von Arbeitsplätzen für die von ihnen mehr oder weniger vertretenen ArbeiterInnen geht. In mancher Auseinandersetzung wurde jedoch deutlich, dass auch GewerkschafterInnen nicht gleich GewerkschafterInnen sind. So argumentierte ein über Skype-Schaltung teilnehmender Funktionär einer kolumbianischen Kohlegewerkschaft äußerst beeindruckend die Notwendigkeit, binnen 10 Jahren aus der Kohleförderung auszusteigen, und dass in einem Land mit den riesigen Kohle-Tagbau-Bergwerken! Der Vorsitzende der südafrikanischen Metallarbeitergewerkschaft wiederum warnte vor einem Energieimperialismus des Nordens, der seinen Bedarf an sauberer Energie aus den Regionen des Trikont stillt und obendrein den Ländern des globalen Südens die Bedingungen ihres Wachstums unter „grünen“ Vorzeichen diktiert.

Aber auch Betriebsbesetzungen als Strategien eines nachhaltigen Wandels wurden verhandelt. Ein britischer Forscher erinnerte an das – letztlich gescheiterte – Projekt der an gesellschaftlicher Nützlichkeit umorganisierte Produktion in den besetzen Lucas-Aerospace-Fabriken im Britannien der 1970er Jahre und stellte seine Visionen eines konsequenten Umstiegs auf 100% erneuerbare Energien vor, eine AktivistIn aus Kolumbien wiederum berichtete von den Kämpfen der unter unsäglichen Arbeitsbedingungen scheinselbständig Beschäftigten Landarbeitern in der Bio-Treibstoff-Industrie und die enorme Lebensgefahr, die in Kolumbien mit gewerkschaftlicher Tätigkeit einhergeht. Seit 1986 wurden in Kolumbien über 2.700 GewerkschafterInnen ermordet.[1]

Den theoretischen Rahmen bezog das Seminar aus dem Ansatz des autonomen Marxismus.[2] So wurde eine Klammer geschaffen, die es ermöglichte, die oben angesprochenen Probleme vor dem Hintergrund der Notwendigkeit kollektiver Aneignung von Commons zu diskutieren. Diese Gemeingüter liegen potenziell außerhalb des kapitalistischen Zugriffs und müssen sowohl durch die Communities als auch über die Kämpfe der entlohnten und nicht-entlohnten ArbeiterInnen (wieder)angeeignet werden. Diese Strategie der Commons soll die erneute kapitalistische Enteignung, diesmal jene der erneuerbaren Energien (wie z.B. derzeit akut, als „Bio“-Treibstoffe), verhindern und Perspektiven eines nachhaltigen globalen Kommunismus eröffnen. So stellte der Ökonom Massimo De Angelis in seinem Referat die Notwendigkeit heraus, die Diskussion um Energie nicht als Input- und Outputfaktoren technizistisch misszuverstehen, sondern als umkämpftes, gesellschaftlich strukturiertes Terrain, als soziales Verhältnis, welches nicht losgelöst von Klassenverhältnissen und der globalen Arbeitsteilung existiert.

In den Diskussionen entwickelten sich zwei zentrale Widerspruchslinien: Zum einen, und bei der Konferenz nicht umstritten, der Kampf gegen internationale Konzerne sowohl der energieintensiven Industrien (allen voran die Fahrzeugindustrie) als auch der privaten Aneignung von Energie-Commons (durch Öl-, Bergbau-, Wasser- und Energiekonzerne, etc.), zum anderen die nicht selten divergierenden, wenn nicht gegensätzlichen Interessen innerhalb der globalen ArbeiterInnenklasse, zwischen kolumbianischen ÖlarbeiterInnen und Indigen@s, Beschäftigten in der Automobilindustrie und Grassroots-Öko-AktivistInnen. So sehr das zumindest teilweise gemeinsame Agieren seit der „Battle of Seattle“ 1999 ein neues Verständnis von Zusammenarbeit dieser verschiedenen Sektoren der globalen ArbeiterInnenklasse geöffnet hat, so viel gibt es doch noch zu tun bzw. zu erstreiten.  Die Notwendigkeit einer Suche nach gemeinsamen Strategien steht jedenfalls außer Frage, geht es doch um nicht weniger als zu verhindern, dass der Ausweg aus der Krise in einem Pseudo-Green-New-Deal besteht, der letztlich wiederum auf dem Rücken aller ArbeiterInnen, der Umwelt und des globalen Südens ausgetragen wird.

Nicht zuletzt in dieser Dringlichkeit liegt die Bedeutung des Grazer Kongresses. Eine Fortsetzung in einer deutlich größeren Dimension ist unter dem etwas gar braven Motto „Eine andere Energie ist möglich!“ für Mitte/Ende 2011 geplant – hoffentlich dann nicht unter weitgehender Ausklammerung der Gender-Dimension, die gerade bei der Diskussion um Gemeingüter einen zentralen Raum einnehmen soll und muss. Debattenbeiträge und nähere Informationen über die Diskussionen und TeilnehmerInnen sind unter  http://bildungsverein.kpoe-steiermark.at/energy-seminar.phtml abrufbar. Als weitergehende Lektüre ist das in Kürze erscheinende Buch „Sparking a Worldwide Energy Revolution“ (Ak Press), herausgegeben von Kolya Abramsky, der auch die Konferenz maßgeblich vorbereitet hat, nachdrücklich zu empfehlen.


[1]    Interessante Hintergrundinformationen finden sich unter http://www.labournet.de/internationales/co/lebensgefahr.html

[2]    Vgl. zu Geschichte und Entwicklung des autonomen Marxismus: http://www.grundrisse.net/grundrisse18/martin_birkner_robert_foltin.htm

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ISSN 1814-3164 
Key title: Grundrisse (Wien, Online)

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