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Robert
Foltin - Frantz Fanon wiederlesen? Ich
habe Frantz Fanon gelesen als der „autonome Antiimperialismus“ im
deutschsprachigen Raum eine größere Rolle spielte. Der Autor galt als ein
Kronzeuge für die Notwendigkeit des bewaffneten Kampfes im Trikont, aber auch
als moralische Rechtfertigung für militante Kämpfe in den Metropolen. Die Bücher
Schwarze Haut, weiße Masken (SHWM)
und die Verdammten dieser Erde (VdE) konnten als Aufforderung verstanden
werden, etwas für die Veränderung der Welt zu tun. Zur gleichen Zeit
diskutierte ich mit einer Freundin, die gerade eine Beziehung zu einem Schwarzen
eingegangen war, über die Möglichkeit und Unmöglichkeit solcher Beziehungen.
Auch hier lieferten diese Bücher Stichworte für die Diskussion. 2001
ist das Buch von Udo Wolter erschienen (Wolter 2001) und ich habe neuerlich Schwarze
Haut, weiße Masken und die Verdammten dieser Erde
gelesen und ich war wieder fasziniert, auch wenn ich gewisse Elemente
inzwischen kritischer sehe und die Gewichtung der Interpretation in eine andere
Richtung geht. Die Faszination beim Lesen entsteht durch die bestimmte Form des
Textes: es handelt sich jeweils um eine Analyse und Einschätzung der aktuellen
Situation der Unterdrückung durch politische, philosophische und psychologische
Diskurse, aber auch durch die konkreten Erfahrungen eines Schwarzen in einer
rassistischen Umgebung in Frankreich und in Zusammenhang mit Repression und
Widerstand im algerischen Unabhängigkeitskrieg. Ergänzt wird das mit der
Beschreibung von Fällen aus der Erfahrung als Psychiater und poetischen
Einsprengseln besonders von Texten seines Freundes und Lehrers Aimé Césaire. Frantz
Fanon Fanon
wird 1924 in eine vergleichsweise wohlhabende und auf Assimilierung bedachte
Familie auf Martinique geboren. In seiner Jugend lernt er Aimé Cesaire kennen,
der ihm hilft, eine schwarze Identität zu entwickeln. Im zweiten Weltkrieg
schließt er sich dem Kampf gegen die Naziherrschaft an und wird vom französischem
Staat ausgezeichnet. Nach dem Schulabschluß in Martinique studiert er in
Frankreich Medizin und Philosophie. Die Beendigung seines Studiums führt ihn
nach Algerien. wo er eine reformpsychiatrische Anstalt in Blida-Joinville
leitet. Dort unterstützt er den FLN (Front de Libération Nationale),
der seit 1954 bewaffnet gegen den französischen Kolonialismus kämpft. Seiner
Entlassung kommt er durch Demissionierung zuvor. Danach arbeitet er für den FLN
in einem Krankenhaus in Tunesien, aber auch als diplomatischer Repräsentant und
als Autor der FLN-Zeitung El Moudjahid. Er überlebt mehrere Anschläge
des französischen Geheimdienstes. 1960 erfährt er, daß er an Leukämie
erkrankt ist Er stirbt 1961. Neben
einer großen Anzahl von Aufsätzen hat er zwei Bücher geschrieben, 1952 ist
Schwarze Haut, weiße Masken erschienen und 1961 kurz vor seinem
Tod die Verdammten dieser Erde, das beinahe zu einem „Kultbuch“ der
Bewegungen 1968 und danach wurde und zwar nicht nur in Frankreich, sondern in
vielen Metropolenstaaten der Welt. Schwarze
Haut, weiße Masken (1952): In
diesem Buch geht es besonders um die Konstruktion des „Schwarzseins“ durch
den kolonialistischen Blick und die sozialen und psychischen Auswirkungen auf
die Farbigen. Der Ausgangspunkt sind Literaturanalysen und die eigene Erfahrung
als Farbiger in Martinique und in Frankreich. Fanon zeigt auf, daß die Rolle
und das Verhalten des „Negers“ durch die Diskurse der KolonialistInnen
erzeugt werden und sich auf die eigene Psyche und Selbsteinschätzung auswirken.
Er
untersucht die Rolle der Sprache für die Kolonisierung: das ist das als
minderwertig betrachtete Kreolische von Martinique, das eigentlich die
Muttersprache der Schwarzen und Farbigen ist und die Hochschätzung des Französischen.
Weiters ist es minderwertige Behandlung durch die Weißen in Frankreich, die mit
einem „Neger“ petit-nègre [i]
sprechen. Der Wunsch der
Kolonisierten ist die sprachliche Anpassung an das Französische, was aber
nichts an der geringen Wertschätzung durch die FranzösInnen ändert. Ein
weiteres Element der Untersuchung ist die Beziehung zwischen Kolonisierten und
KolonisatorInnen. Die farbige Frau versucht
weißer zu werden, indem sie einen weißen Mann liebt, der sie trotz allem
verachtet. Für die „Mulattinnen“ kommt noch erschwerend hinzu, daß sie
nicht wieder ins Schwarzsein absinken wollen. Der farbige Mann beschäftigt
sich mit der Kultur der KolonisatorInnen, er projiziert sich in diesem
Zusammenhang sogar in die weiße Kultur. Er fühlt die Nicht-Anerkennung in
einem doppeltem Sinn, einerseits als schwarze Kulturlosigkeit, andererseits
bleibt er durch seine Hautfarbe nicht anerkannt, auch wenn er mit der weißen
Kultur perfekt, oft besser umgehen kann [ii]. Während
von weißen Theoretikern ein „angeborener“ Abhängigkeitskomplex festgestellt
wird, zeigt Fanon, daß dieser angebliche Wunsch nach Abhängigkeit aus realen
Unterdrückungserfahrungen kommt. Fanon analysiert die Träume von Madegassen,
die der Psychologe O. Mannoni beschreibt und „dekonstruiert“ damit die
kolonialistische Sichtweise von Mannoni. Daran anschließend beschreibt er die
Minderwertigkeit, die der „Neger“ in seinem eigenen Erleben erfährt. Das
bezieht sowohl die Verachtung und Unterdrückung durch die offenen RassistInnen
ein als auch die Nicht-Anerkennung, die der Kolonisierte durch den Paternalismus
der wohlmeinenden „Negerfreunde“ kennenlernt. In einer vorletzten Wendung
analysiert er die rassistische Angst der Weißen vor dem „Neger“. Er
vergleicht die Projektion mit den Unterschieden und Ähnlichkeiten mit dem
Antisemitismus. Der Neger ist (z.B. durch seine halluzinierte sexuelle Potenz)
das projizierte Biologische: Der
Neger stellt die biologische Gefahr dar. Der Jude die intellektuelle Gefahr. Wer
eine Negrophobie hat, hat Angst vor dem Biologischen. Denn der Neger ist nackte
Biologie. Es sind Tiere. Sie leben nackt. (SHWM S. 117) Die
Erkenntnis, daß die Weißen, die KolonisatorInnen das Problem sind und genauso
krank wie die Kolonisierten, ist ein erster Schritt zur Befreiung. Die Antwort
des „Negers“ ist dann die Poesie Aimé Cesaires, das Hinabsteigen ins
Schwarzsein, um aus der Revolte wieder aufsteigen zu können. Sein Ziel ist die
Anerkennung. In einem kurzem Abschnitt bezieht sich Fanon auf Hegel, besonders
auf die Herr-Knecht-Dialektik: Anerkennung als Selbstbewußtsein kann nur durch
den Kampf erreicht werden und Fanon beklagt, daß der „Neger“ - Fanon
bezieht sich besonders auf die farbige Bevölkerung Martiniques - von den Weißen
„anerkannt“ wurde, ohne daß er [iii]
gekämpft hat. Da die
Anerkennung als Subjekt sowohl für die Person Fanon als auch für die Rezeption
eine große Rolle spielt, werde ich hier einen kurzen Exkurs über die Hegelsche
Herr-Knecht-Dialektik einfügen. Selbständigkeit
und Unselbständigkeit des Selbstbewußtseins; Herrschaft und Knechtschaft
(Hegel1986
S.145-155, vgl. auch Kojève1975)[iv]
Der
Mensch wird bei Hegel als Selbstbewußtsein gesehen. Als Person ist er nur Bewußtsein,
das sich als getrennt von seiner Umgebung erkennen kann. Dieses Bewußtsein ist
ein negatives Wesen, indem es sich als anderes als die Objekte sieht. Es ist Begierde,
indem es die Objekte, die Dinge vernichten oder verändern will. So wird eine
Substanz zu einem Ding geformt (aus dem Ton wird ein Nicht-Ton, ein Gefäß),
Essen wird durch den Genuß vernichtet. Dieses Bewußtsein kann in seiner
Begierde, in seinem negativem Verhältnis nur zu einem Selbstgefühl (fürsich)
kommen, zu einem Selbstbewußtsein wird es nur, wenn es durch eine andere
Begierde, ein anderes Selbstbewußtsein anerkannt wird. Die Begierde richtet
sich nicht auf etwas, was sowieso vorhanden ist, sondern auf etwas, was ein
anderes (Selbst)bewußtsein begehrt. Wenn die beiden Subjekte bis zur letzten
Konsequenz gehen, kommt es zum Kampf auf Leben und Tod.
Dieser Kampf alleine muß immer wieder zurückfallen, weil immer einer
der Kämpfer getötet wird und dadurch wieder kein anderes Selbstbewußtsein für
die Anerkennung bestehen bleibt. Steckt aber einer der beiden Kombattanten zurück,
hemmt seine Begierde, weil die Angst vor dem Tod größer ist als der Wunsch zu
leben, entstehen zwei Formen der Lebens: der Herr und der Knecht.
Der Knecht anerkennt den Herrn. Der Herr ist aber eine Sackgasse der Geschichte,
das unwesentliche, knechtische Bewußtsein wird von ihm immer wieder mit den
Dingen (der Natur) gleichgesetzt, erlangt also keine Befriedigung als Selbstbewußtsein,
weil der Herr den Knecht nicht als anderes Selbstbewußtsein sieht. Die gehemmte
Begierde des Knechtes befriedigt zwar die Begierde des Herrn, aber als
projiziertes Ding nicht (mehr) die Begierde der Herrn nach Anerkennung. Anders
der Knecht, er steht zwischen dem Herrn und den Dingen, die er bearbeitet, er
enthält beide Elemente, seinen gehemmten Wunsch danach, Herr zu sein und sein
Verhältnis zu den Dingen durch Arbeit. Der Knecht ist durch die Arbeit
das Vermittelnde zwischen dem herrischen Selbstbewußtsein und der Natur. Nur
der Knecht ist zu einer Weiterentwicklung fähig, weil er die Arbeit kennt und
dann auch Herr seiner selbst werden kann. Der Knecht muß Herr seiner eigenen
Arbeit werden. Unschwer ist darin das Bewußtsein der protestantischen
Arbeitsmoral, der bürgerlichen Revolution und der kapitalistischen Gesellschaft
zu erkennen. Ein Knecht, der Herr seiner Arbeit wird, wird Arbeiter und/oder
Unternehmer. Das im Menschen angelegte Konkurrenzdenken (der Kampf auf Leben und
Tod) wird durch die Arbeit auf eine nächste Stufe der Entwicklung gebracht. In
der marxistischen (u.a. der Kojèveschen) Interpretation kann der Zustand des
Selbstbewußtseins nur in der Revolution erreicht werden, indem der Knecht zum
Herrn wird und trotzdem nicht den Bezug zur Arbeit verliert. Die
problematischen Elemente dieser Sichtweise sind die Unausweichlichkeit des
Kampfes auf Leben und Tod und die unbedingt positiv gesetzte Rolle der Arbeit.
Hegel sieht Kampf und Arbeit als anthropologische Konstanten. Und auch bei Fanon
entsteht das (männliche) Selbstbewußtsein im Kampf und in der Arbeit. Die
Verdammten dieser Erde (1961) Dieses
Buch wurde im letzten Lebensjahr, bereits im Bewußtsein des baldigen Todes
geschrieben und bezieht sich direkt auf den bewaffneten Kampf in Algerien. Sein
Leben und sein Buch erscheinen als direkte Antwort auf die Problemstellung, die
in SHWM gestellt wird: „Das
Individuum, welches das Leben nicht gewagt hat, kann wohl als Person anerkannt
werden; aber es hat die Wahrheit dieses Anerkanntseins als eines selbstständigen
Selbstbewußtseins nicht erreicht.“ [zitiert Fanon die Phänomenologie des
Geistes, Hegel 1986, S. 149] Historisch
ist der Neger, in der Unwesentlichkeit der Knechtschaft versunken, von dem Herrn
befreit worden. Er hat für seine Freiheit nicht gekämpft. (SHWM S. 155
Fanons
Antwort ist der nationale Befreiungskampf, ein Befreiungskampf, der konkret in
Algerien geführt wird, aber auch in den befreiten Staaten weitergeführt werden
muss. So ist es auch nur logisch, daß es im ersten Abschnitt der Verdammten
dieser Erde um die Gewalt
geht, um die Gewalt der
KolonisatorInnen, die Gewalt zwischen den Unterdrückten und die befreiende
Gegengewalt. Die koloniale Welt teilt sich in zwei Teile, in verschiedene Städte,
die vollkommen voneinander getrennt sind. Es gibt Zonen, in denen sich die
KolonisatorInnen bewegen und solche, wo die Kolonisierten leben. Die Vermittlung
findet durch die Polizei und die Gendarmerie statt, die eine Verbindung
verhindert, da Übergänge ja die Metropole mit dem Ungezügelten und Gewalttätigen
anstecken könnten. In der Projektion werden die Kolonisierten entmenschlicht.
Erst wenn die Unterdrückten an ihren Ketten rütteln, Unruhen und Aufstände
die Ordnung bedrohen, tauchen unter den KolonisatorInnen die WarnerInnen und
VermittlerInnen auf, die Anderen werden als Menschen anerkannt. Aber die wollen
inzwischen mehr, sie wollen nicht allein als Personen anerkannt werden, sondern
sie wollen Herren werden. Das ist die Situation, wo sich das Schwarzweiß-Denken
des Kolonialismus gegen den Kolonialismus kehrt. Die Intellektuellen mögen
analysieren und diskutieren, welche Strategie des Befreiungskampfes die adäquate
ist, das Volk (die BäuerInnen) weiß, was es zu tun hat. „..das Gute ist
ganz einfach das, was ihnen schadet.“ (VdE, S. 42) Sie belügen die
Kolonialherren, sie sind faul und widerspenstig, nach Fanon aber offen, aktiv
und kreativ gegenüber den Befreiungsbewegungen. Die Kolonisierten sind gewalttätig,
immer wieder gibt es Explosionen gegeneinander, Kriminalität und Gewalt, die
den Unterdrückten selbst schadet. Die Angst vor dem Kolonialherren wird
umgewandelt in die Projektion von Mythen und Magie. Die Geister erscheinen gefährlicher
als die Unterdrückungsorgane. All das ändert sich erst durch den bewaffneten
Kampf um Befreiung, wo sich die Gewalt nicht mehr gegeneinander oder gegen
Geister wendet, sondern gegen die Unterdrückung. Die
Basis der nationalen politischen Parteien sind LehrerInnen, HandwerkerInnen,
Kaufleute und die ArbeiterInnen, die gegenüber den BäuerInnen in einer
privilegierten Situation sind. Diese reformistischen FührerInnen suchen den
Kompromiß, trotzdem spielen sie eine positive Rolle, indem sie Selbstbewußtsein
schaffen, weil sie die Geschichte der Revolten verbreiten und sie dem Vergessen
entreißen. Außerdem wird durch ihre Vermittlung der internationale
Zusammenhang hergestellt. So gibt es jetzt die Situation, daß die Unterdrückten
einen Zusammenhang zwischen verschiedenen Aufständen herstellen können und
sich überall ihr Dien Bien Phu [v] wünschen.
Die Situation der Befreiungsbewegungen hat sich seit dem Ende des zweiten
Weltkriegs verändert, durch die Verbreitung des Transitorradios[vi],
durch die Existenz der realsozialistischen Länder und besonders durch die zu
Ende gehenden europäischen Kolonialreiche. Fanon sieht eine Entwicklung, wo
sich die Gewalt der KolonisatorInnen umwandelt, er schlägt eine reziproke
Gewalt vor. Wenn sich KolonisatorInnen damit brüsten, die Möglichkeiten zu
haben, hunderte zu töten, warum tun sich dann nicht immer hunderte zusammen, um
einen Kolonialherren zu töten. Die Gewalt im antikolonialen Kampf vereinigt das
„Volk“ gegen Separatismus und Partikularismus (den die KolonialistInnen
produzieren), zerstört die Mythen und die Häuptlingsstrukturen und wirkt
antihierarchisch: „..das
Volk [kann]sich davon überzeugen, daß die Befreiung die Sache aller und jedes
einzelnen war und daß ihr Anführer kein besonderes Verdienst hat. Die Gewalt
hebt das Volk auf auf die Höhe seiner Anführer. (VdE S. 77) Eine
interessante Wendung gibt es dann noch insofern, als die Gewalt im
Befreiungskampf als Arbeit gesehen wird. Arbeit heißt, am Tod des
Kolonialherren arbeiten. (VdE S. 72) Die KämpferIn wird als ArbeiterIn
gesehen. Die beiden Elemente Gewalt und Arbeit, die in der Herr-Knecht-Dialektik
bei Hegel nacheinander die Entwicklung der Menschheit bestimmen, fallen im
antikolonialen Kampf zusammen, um die dialektische Erstarrung des Kolonialismus
wieder in Bewegung zu bringen[vii].
Darin ist natürlich auch der marxistisch-antiimperialistische Berufsrevolutionär
zu erkennen. Und diese Energie, die als Arbeit/Gewalt der Militanten im
Befreiungskampf mobilisiert wird, soll sich nach der Befreiung in Energie für
den Aufbau des Landes umwandeln. Fanon
meint, daß sich der Befreiungskampf nachträglich auch auf die Metropolen
auswirken wird. Dadurch daß die Absatzmärkte der Kolonien wegfallen (die sich
ökonomisch mit dem realsozialistischen Block verbinden), wird die Krise auch
nach Europa getragen und das dortige Proletariat wird zu kämpfen beginnen.
Dieser letzte Punkt des Gewalt-Kapitels zeigt, daß der Diskurs Fanons von der
Existenz des realen Sozialismus und den Träumen von einer unabhängigen ökonomischen
Entwicklung außerhalb des Westen abhängig ist. Im
nächsten Kapitel geht es unter dem Titel Größe und Schwäche der
Spontaneität um die Wechselwirkung zwischen Intellektuellen und BäuerInnen,
zwischen Stadt und Land. Dabei wird die Entwicklung einer Befreiungsbewegung
nachgezeichnet. Es beginnt mit der Entwicklung von nationalen Parteien in der
Stadt, die keinen Bezug zum Land haben, sie werden von Aufständen der BäuerInnen
überrascht, können aber nicht auf deren Situation eingehen. Die Repression
erzwingt eine Spaltung innerhalb dieser Gruppierungen in einen illegalen und
einen legalistischen Teil. Die Illegalen finden die Unterstützung der ländlichen
Bevölkerung, die dann den Guerillakrieg beginnen kann. In einer bestimmten
Phase des Kampfes wird die Situation erreicht, wo es notwendig ist, den Kampf in
die Städte zurück zu tragen. Die entscheidende Basis dazu ist das
„Lumpenproletariat“. Einerseits sind die Beschäftigungslosen und
Deklassierten von den KolonialistInnen leicht zu korrumpieren, andererseits
werden diese Menschen konsequent kämpfen, wenn sie für die Befreiung gewonnen
werden. Zum Schluß warnt Fanon noch vor dem antirassistischen Rassismus, der
zwar den Mut und den Haß für den spontanen Aufstand hervorbringt, aber im
Befreiungskampf verschwinden muß. Er führt als Beispiel Autochthone an, die am
Unterdrückungsapparat teilhaben, aber auch Metropolenmenschen, die ihr Leben für
den Befreiungskampf riskieren. Frankreichs
Algerienkrieg Unschwer
ist in diesen Beschreibungen die Entwicklung in Algerien zu erkennen, aus diesem
Grund will ich hier einen Exkurs über den Algerienkrieg einführen (vgl.
Elsenhans 1974, Leggewie 1984): Algerien hat in der Zeit des Kolonialismus eine
andere Struktur als etwa Tunesien und Marokko, eine große Anzahl von EuropäerInnen
(die so genannten Pied-noirs) lebt relativ privilegiert in Algerien (von
AgrarkapitalistInnen bis zu KleinbürgerInnen und VerwaltungsbeamtInnen). Daraus
entsteht die in VdE beschriebene Trennung der Lebenssphären in der kolonialen
Situation. Vor und nach einem spontanen Aufstand 1945 spielt eine
Nationalbewegung unter Messali Hadj eine dominierende Rolle (die MessalistInnen)
und Algerien erscheint relativ befriedet (z.B. wurde in Vietnam seit 1945 gekämpft).
Im November 1954 beginnt der FLN den bewaffneten Kampf, der 1955 eskaliert. Die
Frontstellung zwischen europäischer und moslemischer Bevölkerung spitzt sich
zu, der Kolonialstaat verliert die Kontrolle über ein Drittel des Landes. 1956
gewinnt in Frankreich ein Linksbündnis, das aber den Krieg verschärft (u.a.
entführen französische Geheimdienste ein Flugzeug mit den historischen Führern
der Befreiungsbewegung). Die Eskalation des Befreiungskriegs zwingt alle
autochthonen Gruppen (auch gemäßigte
und religiöse – die Ulemas, religiöse Rechtsgelehrte) zur Parteinahme. In
der ersten Hälfte des Jahres 1957 tobt die „Schlacht um Algier“, die mit äußerster
Brutalität von beiden Seiten geführt wird. Es ist selbstverständlich, daß
der FLN Bomben in belebten Cafés platziert. Von Fanon wird das als
Notwendigkeit beschrieben, den Kampf in die Städte zurückzutragen. Den Kampf
um die Kontrolle der Stadt gewinnt der französische Staat und beginnt jetzt
eine Doppelstrategie gegenüber der moslemischen Bevölkerung, einerseits MP und
Elektroden (zur Folterung) andererseits gibt es Investitionen für die
autochthone Bevölkerung. Durch Terror (z.B. bei einem Massaker an
MessalistInnen) kann der FLN die Kollaboration (insbesonders auf dem Land)
gering halten, die Antwort Frankreichs ist die Installation von Wehrdörfern. Für
beide Seiten ist klar, daß der Krieg nicht gewonnen werden kann. Inzwischen hat
sich die internationale Lage verändert. Eine große Zahl von Staaten ist unabhängig
geworden, 1955 findet die Konferenz von Bandung (Indonesien) statt, wo die
Blockfreienbewegung gegründet wird. 1956 versuchen Großbritannien und
Frankreich gemeinsam mit Israel mit einem militärischen Angriff die Kontrolle
des Suezkanals wiederzugewinnen, nachdem dieser durch den ägyptischen Präsidenten
Gamal Abd el Nasser verstaatlicht wurde. Die europäischen Staaten und Israel
werden von den USA und der Sowjetunion zum Rückzug gezwungen. Nach einem
Aufstand der EuropäerInnen in Algerien verlieren die Linken die Macht in
Frankreich, de Gaulle wird Regierungschef. Die Pied-noirs werden aber
enttäuscht, denn de Gaulle leitet die Unabhängigkeit Algeriens ein. Die Gründe
für die Akzeptanz der Unabhängigkeit sind im internationalen Druck und den ökonomischen
Interessen zu sehen, u.a. gibt es konkrete Projekte für eine weitere Ausbeutung
der Erdöl- und Erdgaslager in der Sahara. Die französische Bevölkerung,
einschließlich eines großen Teils der Linken stellt sich erst gegen Ende des
Krieges auf die Seite der Dekolonisation[viii].
Die
Verdammten dieser Erde (2) Im
dritten Abschnitt der Verdammten dieser Erde geht es um die Mißgeschicke
des nationalen Bewußtseins. Dabei
bezieht sich Fanon auf Erfahrungen in bereits unabhängig gewordenen Staaten,
wahrscheinlich befürchtet er schon damals ähnliche Entwicklungen in Algerien.
Immerhin kennt er die innere Struktur des FLN, einschließlich seiner Fraktionskämpfe.
In manchem wirkt dieses Kapitel beinahe prophetisch. Fanon beschreibt die Unfähigkeit
der nationalen Bourgeoisie, mit der Befreiung umzugehen. Die Nationalisierung
des kolonialistischen Kapitals bedeutet nur die Übertragung auf eine
autochthone Elite, die dekadent mit einer „internationalen Bourgoisie“
verbunden bleibt. Der Wunsch nach Bereicherung führt auch bei anderen Teilen
der Bevölkerung zu ethnisierten Auseinandersetzungen, präkoloniale
Konkurrenzverhältnisse tauchen wieder auf. Die Schwarzen beschuldigen die
AraberInnen des Imperialismus, während sich AraberInnen rassistisch gegenüber
Schwarzen verhalten. In einigen Staaten hat sich eine Einheitspartei gebildet,
die aber auch nichts anderes als eine neue privilegierte Kaste ist, auch wenn
sie teilweise aus charismatischen und verdienten BefreiungskämpferInnen
besteht. Auch eine Tendenz zum Militarismus wird in diesem Zusammenhang, aber
auch in Verbindung mit Separatismus und Partikularismus kritisiert: „[...]
die oft unheilvolle Rolle des Führers [..]rührt daher, daß die Partei in
bestimmten Gebieten wie ein gang organisiert ist, bei dem der Härteste
die Führung übernimmt. (VdE S. 157) In
der zweiten Hälfte macht er Vorschläge, was passieren sollte, damit sich diese
negativen Entwicklungen nicht wiederholen. „Die
Völker sind keine Herden mehr und brauchen nicht geführt zu werden.“ (VdE S.
157) Fanon
geht jetzt darauf ein, wie die (revolutionäre) nationale Partei agieren sollte,
um die beschriebenen Mißgeschicke zu vermeiden. Die Partei soll Ausdruck der
Massen bleiben oder werden, aus diesem Grund soll die Macht und die Kontrolle
getrennt werden. Auch spricht er von der Lernfähigkeit der Massen und bringt
ein Beispiel aus dem algerischen Krieg: 1956/1957 regelmentierte die französische
Kolonialverwaltung den Personenverkehr, was den Schwarzmarkt blühen läßt. Der
FLN führt Preiskontrollen ein und überwacht so das kapitalistische System. Außerdem
wird im Machtbereich der Befreiungsbewegung das Land aufgeteilt. Die in dieser
Region lebenden BäuerInnen erfahren konkret wie der Kapitalismus funktioniert
und Fanon meint, daß sie sich in Zukunft nichts mehr gefallen lassen würden,
auch nicht von bürokratischen FührerInnen. (VdE S. 161-163) Daß er Ausbildung
und Sport für die Jugend fordert, hat schon nahe Anklänge an
realsozialistische Vorstellungen. In diesem Abschnitt wird klar, daß der
Nationalismus für sich allein zu wenig ist. Ganz
im Gegensatz zu dem, was man gemeinhin annimmt, entwickeln die afrikanischen Völker,
die unterentwickelten Völker sehr schnell ein politisches und soziales Bewußtsein.
(VdE S. 173)[...] Eine
Bourgeoisie, die den Massen als einziges Nahrungsmittel den Nationalismus gibt,
verfehlt ihre Mission und verstrickt sich notwendig in eine Folge von Mißgeschicken.
(VdE S. 174) Obwohl
Fanon hier die Fähigkeiten und Möglichkeiten der „Völker“ auch unabhängig
von ihren Eliten zeigt, klingt gerade hier die Arroganz des Denkens in einer
revolutionären Partei durch. Nachträglich hat sich gezeigt, daß praktisch
keine nationale Befreiung einen echten Weg der Befreiung angetreten hat, wobei
meiner Ansicht nach ein Element des Scheiterns die Orientierung auf einen
revolutionären Staat ist. In
dem auf Deutsch erschienenem Band sind noch zwei Abschnitte, auf die ich nicht
genauer eingehen werde. In einem geht es um die nationale Kultur (es handelt sich um eine Rede vor dem zweiten Kongreß
der schwarzen SchriftstellerInnen und KünstlerInnen in Rom 1959), wo über die
Wechselwirkung zwischen nationaler Kultur und Befreiungskampf sowie zwischen den
Kulturen der Metropole und der Peripherie diskutiert wird. Im letzten Teil
beschreibt er Fälle aus seiner Praxis in Algerien und Tunesien, wobei Doktor
Fanon sowohl Kolonisierte wie KolonisatorInnen behandelt. Das Ergebnis seiner
Untersuchungen kann so zusammengefaßt werden, daß die zu behandelnden psychischen
Krankheiten durch die reale Situation der Unterdrückung und des Krieges in
Algerien entstehen. Frantz
Fanon hat sich am Algerienkrieg beteiligt, um den Weg zu einer Emanzipation der
Kolonisierten und damit auch der ganzen Menschheit freizumachen. Aus diesem
Grund schreibt er vermutlich dieses Buch, er will an einem nationalistischen
Internationalismus teilnehmen, aber auch vor gefährlichen Entwicklungen warnen.
Die Wirkung ist aber eine andere als er sich erwartet hat: Die Verdammten
dieser Erde wird ein vieldiskutiertes Buch der StudentInnenbewegung in der
ersten Welt und wird Teil der Basis eines internationalistischen Widerstands
gegen die Unterdrückungsmaßnahmen und Kriege des Westens gegen die
Befreiungsbewegungen der so genannten „dritten Welt“. Für
Fehlinterpretationen, die zu einer kritiklosen Unterstützung von
Befreiungsbewegungen durch AntiimperialistInnen führen, ist nicht mehr der
Autor der VdE verantwortlich zu machen. Das
obskure Subjekt der Begierde (Udo Wolter 2001) Das
Schwarz-Weiß-Denken des Antiimperialismus („eine Front der unterdrückten Völker
gegen den Imperialismus“) wurde und wird oft genug mit Fanon begründet.
Insofern ist es erstaunlich, daß ab Mitte der achtziger Jahre Fanon von der postcolonial
critique positiv rezipiert und zur Untermauerung eigener Thesen verwendet
wird[ix].
Udo Wolter sieht sich teilweise in dieser Tradition - insbesonders wenn es um
feministische Ansätze geht – betrachtet diese Theorien aber auch im Licht
eines werttheoretischen Marxismus. Seine Methode ist das Nachvollziehen der
Texte Fanons im Licht von Kommentaren und Diskussionen. Im
ersten Abschnitt (Kapitel 2 nach der Einleitung) geht es um die Beurteilung von Schwarze
Haut weiße Masken, wo das antikoloniale Subjekt aus psychologischer, aber
androzentrischer Perspektive entwickelt wird. Die Konzentration auf das männliche
Subjekt stammt einerseits aus der Geschichte und Praxis von Psychologie,
Psychiatrie und Psychoanalyse, andererseits aus der Lebenserfahrung des männlichen
Autors Fanon: Da
sich das schwarze Subjekt nicht aus sich selbst, sondern durch den kolonialen
Blick konstituiert, erscheint es immer minderwertig. Der „Neger“ aber möchte
nicht nach seiner Haut betrachtet werden, sondern nach seinem
„Begehren“. Die postcolonial critique hat
begierig eine allerdings sehr lange Fußnote über Lacans Spiegelstadium
aufgegriffen (SHWM S: 178-180): der „Neger“ will sich selbst als weiß
sehen, kann sich im Spiegel allerdings nur als schwarz erkennen. Das wird nach
Wolter von der postkolonialen Theorie als positives Element der Ambivalenz, der
mehrfachen Identität oder Hybridität interpretiert, die Konsequenz für Fanon
sei aber auch der Rückzug auf das Schwarzsein, um die Projektion der
KolonialistInnen gegen sie selbst zu wenden. Fanon sieht diese Rückwendung
ambivalent, er verteidigt sie gegen Sartre, der ihn, den antikolonialen Kämpfer
Fanon als „Neger“ mit seinem „antirassistischen Rassismus“ nur zu einer
Zwischenstufe der dialektischen Entwicklung reduzieren will, aber er macht sich
auch lustig über diese „Rückkehr“ zum „Tamtam der Wilden“, die den
Exotismus der Weißen bestätigt. In Wolters Interpretation von Fanon schwankt
das antikoloniale Subjekt zwischen Schwarzsein und universellem Subjekt zur
Befreiung der Menschheit. Frauen
kommen nur über das sexuelle Begehren vor, also nicht im Zusammenhang mit der
hegelschen Begierde, die auch intellektuelle und politische Anerkennung
bekommen will. Sie sind nur Körper, nur Körperlichkeit: der negrophobe Mann
projiziert das bedrohlich Sexuelle in den schwarzen Mann, der ihm die weiße
Frau wegnimmt, der schwarze Mann leidet unter seinem Begehren nach der weißen
Frau. Die schwarze Frau kommt nur als sexuell aktive Verräterin an der
schwarzen Sache vor, weil sie sich durch die Beziehung zu einem Weißen weißer
machen will. Die weiße Frau hat in ihren rassistischen
Vergewaltigungsphantasien gegenüber dem „Neger“ eigentlich
sadomasochistische Wünsche. So schön die Beschreibung der rassistischen
Fantasien ist, die die Kolonisierten in das Naturhafte, Wilde, Unzivilisierte
hinabdrücken, während diese doch als Subjekte gegenüber den Weißen agieren
(wollen), so unterschiedlich ist die Wertung Fanons in Bezug auf die
geschlechtlichen Unterschiede. Während der Mann als Opfer einer gemischten
Beziehung beschrieben wird, gerade weil er über die weiße Frau aufsteigen
will, ist die schwarze Frau aktiv, sie setzt ihre sexuelle Anziehung bewußt als
Mittel ein. In beiden Fällen behält die Frau Tauschwertcharakter in Bezug auf
die Vermittlung zwischen KolonialistInnen und Kolonisierten: der weiße Frauenkörper,
um den Wert des schwarzen Mannes zu erhöhen, der schwarze Frauenkörper als
eigener Tauschwert für den Aufstieg. Die Sichtweise über die Vergewaltigungen
stammen aus der männlichen westlichen Psychologie. Interessant ist, daß die
Vergewaltigungen im Zusammenhang mit der Kolonisierung eigentlich nicht
behandelt werden, im Gegenteil, sie werden zwar festgestellt, aber in Richtung
einer nationalen Enteignung interpretiert. Fanon erkennt die Naturalisierung der
Kolonisierten, erkennt aber nicht, daß Frauen eine ähnliche Position
einnehmen, im Gegenteil, er reproduziert die entsprechenden (Vor)urteile. Auch
die homophoben Elemente können in einem solchen Zusammenhang interpretiert
werden, da die Nation ja durch männliche Subjekte gebildet wird – eine ausgewählte
Gruppe aufgeklärter intellektueller Männer, die eine gemeinsame Vision
vertreten[x]
– und die Homosexualität mit der Angst vor einer Verweiblichung zu tun hat. Im
zweiten Teil geht es um die Herr-Knecht-Dialektik in Zusammenhang mit der Frage
nach der revolutionären Gewalt. Gegner von Fanon behaupten, daß er die
Gewalt „heilige“ und dadurch spirituelle und religiöse Elemente in
revolutionäre millenaristische (die das Himmelreich auf Erden versprechen)
umwandeln möchte. Dazu ist er aber viel zu sehr Aufklärer, der die ursprünglichen,
rückwärts gewandten Strukturen nur als Überlebensstrategie im Kolonialismus
interpretiert. Nach Fanon verschwinden diese Geister wie psychotische und
neurotische Störungen durch den revolutionären Kampf, der wie bereits
beschrieben auch Arbeit ist. Meiner Ansicht nach liegt das Problem in der
Nichtunterscheidung von abstrakter und konkreter Arbeit (ich gehe hier etwas über
Wolter hinaus). Die abstrakte Arbeit existiert nicht ohne Zirkulationssphäre,
eine „Gleichheit“ verschiedener Arbeiten (Produktion von Hosen oder
Produktion von Autos) kann nur über einen Tauschwert hergestellt werden. Daß
Wert (nur) durch die konkrete Arbeit, durch die Produktion von Gebrauchswert
entsteht, ist Teil der kapitalistischen Ideologie. Der Tauschwert und die
Zirkulation wird im günstigen Fall ignoriert, im ungünstigen Fall wird das Böse
des Kapitalismus in der Zirkulationssphäre gesucht (und im ausländischem
Kapital, bei den HändlerInnen eines anderen „Volkes“ – z.B. die
ChinesInnen in Indonesien oder die InderInnen in Ostafrika - oder im „Juden“
gefunden). Wolter beschreibt die Entwicklung dieser Überbewertung der konkreten
Arbeit bei Fanon an Hand einer wertkritischen Analyse des Rassismus. Durch das
Erleben der rassistischen Verteilung der Arbeit im Kolonialismus entsteht ein
verkürztes Bild des Kapitalismus. Während im Mutterland die freie Arbeitskraft
ausgebeutet wird, die Ausbeutung in der kapitalistischen Fabrik organisiert wird
und es keine offensichtliche Trennung von Produktion und Zirkulation gibt,
funktioniert die Ausbeutung in den Kolonien indirekt. Die Arbeit (z.B. in der
Sklaverei) wird nicht vom Kapitalismus organisiert, sondern der profitiert davon
über den Handel. Die Ungleichwertigkeit der Sklaverei oder Leibeigenschaft kann
nur gerechtfertigt werden, wenn die Kolonisierten auf eine tiefere „natürlichere“,
unzivilisiertere“, „wilde“ Ebene herabgedrückt werden. Während die
Vermittlung in den Mutterländern durch BürgerInnenrechte und demokratische
Strukturen organisiert wird und dadurch ein Ausgleich zwischen KapitalistInnen
und ArbeiterInnen möglich wird, ist die Vermittlung in den Kolonien die nackte
Gewalt. So kann Fanon das kapitalistische Ausbeutungsverhältnis des
Kolonialismus in die Herr-Knecht-Dialektik hineinprojizieren. Der Knecht/Sklave
arbeitet für den Kolonialherrn und wird von ihm gewaltsam unterdrückt. Er
sieht die Dialektik in einer fruchtlosen Binarität erstarrt und will sie durch
das kathartische Moment der antikolonialen Gewalt wieder in Bewegung bringen.
Die organisierte Gewalt gegen die KolonialistInnen ist die Arbeit für die
Befreiung. Die Verbindung von Gewalt und Arbeit ist auch die theoretische Brücke
der militanten, antikolonialen Befreiungsbewegungen mit dem
ArbeiterInnenbewegungsmarxismus, der ebenfalls die Arbeit verherrlicht. Auch
liegt hier die Basis der Fanonverehrung durch den marxistisch-leninistischen
Antiimperialismus der 80er Jahre. Fanon
wollte durch einen Willensakt revolutionärer Gewalt „in die Geschichte
hineinspringen“ (Wolter 2001, S. 117) und damit den Weg zu einer Befreiung der
Menschheit freimachen. Die reale Geschichte der Dekolonisierung hat sich aber
als eine noch stärkere Verstrickung der „befreiten“ Staaten in die
Katastrophengeschichte des Kapitalismus gezeigt. Fanon
war nicht blind gegenüber den Problematiken der Befreiung, immerhin beschäftigt
sich ein Kapitel in den VdE mit den Mißgeschicken des nationalen Bewußtseins,
das Wolter gemeinsam mit weiteren Artikeln unter dem Titel „Fanon und die Mißgeschicke
der Befreiung in den nationalen Staat“ diskutiert. Wie schon oben erwähnt,
geht es dabei sowohl um Kritik an einer indigenen Bourgeoisie wie auch an
diktatorischen Einparteienstaaten. Weiters kritisiert er den entstehenden (z.B.
innerafrikanischen) Rassismus und das Wiederaufleben des Stammesdenkens.
Ambivalenz und Widersprüche zeigen sich wieder, als die „Volkskultur“ als
entfremdet und vom Kapitalismus produziert beschrieben wird, aber auch die Basis
für das Projekt des nationalen Staates sein soll. Das Projekt des nationalen
Staates soll also weder das alte (vorkapitalistische) System sein, noch die
kapitalistische Modernisierung, sondern etwas neues: Wir haben uns
entschlossen, gerade von jener tabula rasa zu reden, die zu Beginn jede
Dekolonisierung kennzeichnet. steht als Diktum am Beginn des Textes (VdE, S.
29). Bei der Diskussion um die nationale Kultur geht es um die Wechselwirkung
zwischen (städtischen) Intellektuellen und der bäuerlichen Bevölkerung. Das
Ergebnis ist dabei, daß der nationale Staat durch die männlichen
Intellektuellen, die (Partei-)eliten geprägt wird, daß die tabula rasa durch
die Männer (!) der Befreiung gefüllt wird. Da
Wolter die Frauenrolle im Befreiungskampf besonders wichtig ist, geht er auf den
Aufsatz „Algerien legt den Schleier ab“ von Fanon ein: Dabei wird wieder die
doppelte Funktion des Schleiers betrachtet. Einerseits ist er mit der exotischen
Projektion der EuropäerInnen verbunden, andererseits wird er als kultureller
Ausdruck der autochthonen Bevölkerung gegen den Kolonialismus gewendet. Als
weiteres Element wird aber von Fanon noch das Argument des Verlustes der
Kontrolle durch die KolonialistInnen gebracht. Die Frau mit Schleier kann nicht
gesehen werden, sieht aber den eigentlich Beobachtenden. Fanon bezieht das natürlich
auf die Möglichkeiten des bewaffneten Kampfes, aber es könnte auch als
Umkehrung des Überwachungsdispositivs von Foucault gesehen werden. Fanon geht
aber noch weiter: für bestimmte Aufgaben ist es für die Kämpferin notwendig,
den Schleier abzulegen, um in den europäischen Vierteln Algeriens nicht
aufzufallen. Und diese Möglichkeiten der Camouflage den Schleier zu tragen oder
nicht, sieht Fanon als das zu sich Kommen der Frauen im Befreiungskampf. Er
betrachtet diese Entwicklung sehr geschichtsoptimistisch und glaubt, daß sich
die Frauen im Kampf gegen die Männer durchsetzen würden. In der Konsequenz
bleibt jedoch auch der Kampf um den Schleier ein Wettbewerb zwischen der
kolonialen Verwaltung und dem indigenen Patriachat um die Sichtbarkeit und um
den Körper der Frauen. In der Folge wird die Zurückdrängung der Frauen nach
der Befreiung nicht nur ein Problem in Algerien, sondern in allen
Befreiungsbewegungen. Auch
wenn in „Algerien legt den Schleier ab“, die Frau als Subjekt vorkommt, ist
sie dem männlichen Revolutionär untergeordnet. Tendenziell gibt es eine
Reduktion der Rolle der Frau auf ihre Funktion als Trägerin einer nationalen
Kultur um die Erhaltung der kulturellen Identität. Frauen sind Objekte zwischen
männlichen Eliten, den Intellektuellen der Befreiungsbewegungen und den Unterdrückern
der kolonialen Verwaltung, der Polizei und dem Militär. Wie
in dieser Zusammenfassung deutlich wird, setzt Wolter zwei Schwerpunkte:
einerseits kritisiert er den verkürzten Arbeitsbegriff, der aus der Übernahme
der Herr-Knecht-Dialektik von Hegel stammt, anderseits erkennt er eine
androzentrische Sichtweise, die damit zusammenhängt, daß in der nationalen
Befreiung das männliche Subjekt im Zentrum steht. Diese beiden Elemente sind
konstitutiv für jede „nachholende Entwicklung“ wie für die bürgerliche
Gesellschaft im Allgemeinen: dominiert von männlichen Eliten und auf der
Idealisierung der Arbeit aufbauend. Frantz Fanon wiederlesen!Die
Träume und Hoffnungen Frantz Fanons sind offensichtlich gescheitert. Im
Gegenteil, die heutige Welt wird vom kapitalistischen Westen dominiert. Die
scheinbar potentesten GegnerInnen des (scheinbar) allmächtigen kapitalistischen
Herrschaftssystems (von Hardt / Negri 2000 als „Empire“ bezeichnet) sind
Kreaturen wie Saddam Hussein oder Osama Bin Laden, die nicht aus
emanzipatorischen Bewegungen kommen, sondern vom Westen gezüchtet und aufgepäppelt
wurden. Woran sind die Ideen Fanons gescheitert? Seine Texte, insbesonders die
VdE sollten Fanale sein, die die Unterdrückten zum Aufstand auffordern, aber
auch eine Warnung vor Fehlentwicklungen. Die BäuerInnen, die als revolutionäres
Subjekt im Zentrum der Aufmerksamkeit Fanons stehen, sind inzwischen nicht mehr
die Mehrheit der Weltbevölkerung[xi].
Die revolutionären Parteien mit einer verkürzten Sichtweise der Arbeit und
einem (männlichen) Eliteverständnis (wie an Hand der Texte Fanons diskutiert),
haben sich an das herrschende System angepasst oder wurden marginalisiert. Der
in der Diskussion Fanons allgegenwärtige Nationalismus hat meiner Ansicht
sowohl mit der Repräsentation durch Eliten wie mit dem Arbeitsbegriff der bürgerlichen
Gesellschaft zu tun. UnternehmerInnen und ArbeiterInnen werden als Produzierende
gesehen und von nationalen Eliten repräsentiert. Die vielfältigen Bedürfnisse
der Menschen werden unter einem „Volk“ und Staat vereinheitlicht und dadurch
unterdrückt[xii]. Wenn
Fanon in seinem Denken auch von einer Ebene der Repräsentation ausgeht, so
sieht er doch auch die Selbsttätigkeit der Bevölkerung (des „Volkes“) und
kommt dabei zu einer Kritik besonders der revolutionären und staatlichen
Eliten. Auch das „Volk“ als Gegenkonzept gegen den Imperialismus ist nicht
so eindeutig zu sehen. Fanon sieht die nationalen Identitätskonstruktionen
nicht in irgendwelchen historischen Mythen, sondern will, daß sie im
Befreiungskampf entstehen. Seine Identitäten sind so ambivalent wie alle
Identitäten von Unterdrückten, einerseits ananlysiert er die „Völker“ als
Konstruktion des Kolonialismus, andererseits wendet er diese Konstruktionen
gegen die UnterdrückerInnen. In der antiimperialistischen Fanonrezeption ist
das „dekonstruierende“ Element Fanons meistens untergegangen. Fanons Hegelianismus bezieht sich auf den Nationalstaat, die Eliten und die Arbeit. Hegels (und Fanons) Sichtweise enthält aber noch ein weiteres Element, nämlich die Aufforderung zur Aktivität, zur Aktion. Nicht umsonst sind poetische Abschnitte eingefügt, die zu einer Selbstfindung unterdrückter Bevölkerungen geführt haben oder führen sollen. Fanons Bücher sind auch direkte Aufforderungen zum Aufstand, zur Revolte. Und diese Texte sind auch heute noch so zu sehen, gerade weil einige Elemente, die wie Handlungsanleitungen wirken, heute nicht mehr aktuell sind. Fanon
hat sich auf eine weltrevolutionäre Bewegung (einen „nationalistischen
Internationalismus“) bezogen, die es so heute nicht mehr gibt. Das bedeutet
aber nicht, daß eine Konstitution der Revolten gegen das Empire nicht möglich
ist. Im Gegenteil, die Vielzahl der heutigen Unruhen und Revolten, die sich über
die so genannte „Antiglobalisierungsbewegung“ von Seattle bis Genua bereits
zu vernetzen beginnt, hat bessere Ausgangsbedingungen, weil sie sich nicht mehr
so einfach unter Parteieliten oder Nationalismen unterordnen läßt und ein
unverkrampfteres Verhältnis zur Arbeit hat.
Die erzwungene Frontstellung im angeblichen „Kampf gegen den
Terrorismus“ bewirkt hoffentlich keine länger andauernde Lähmung, wie die
Hungeraufstände in Argentinien oder die Demonstrationen gegen den EU-Gipfel in
Brüssel im Dezember 2001 zeigen. Algerien
seit der Unabhängigkeit „Afrika
in Bewegung bringen, an seiner Organisierung, seiner Umgestaltung nach
revolutionären Prinzipien mitarbeiten. An der Bewegung, die Afrika als
Kontinent befiehlt, teilnehmen, das war definitiv die Aufgabe, die ich gewählt
habe. (Fanon 2001)“ So beginnt Fanon
in seinem Aufsatz „Afrika im Werden“, wo er über eine Reise nach Westafrika
1960 und seine panafrikanische Vision schreibt. Das könnte aber auch als Motto
für sein Leben, besonders aber für seine Verdammten dieser Erde gelten.
Nach dem Sieg über Nazi-Deutschland erlebt er die rasante Entwicklung der
antikolonialen Befreiung. Seit 1949, dem Sieg Maos über den Kuomintang scheint
beinahe ein Wettlauf entstanden zu sein zwischen der Entkolonialisierung und dem
Anschluß an den „kommunistischen“ Block. Der
brutale Krieg auf der koreanischen Halbinsel kann dort den Kommunismus „eindämmen“.
Die USA treten jeweils für antikommunistische Unabhängigkeit ein, während
Frankreich und England immer noch an ihren Kolonien festhalten wollen. 1954
besiegt Ho Tschi Minhs Guerillaarmee die Franzosen bei Dien Bien Phu, Vietnam
wird geteilt und 1954 beginnt mit einer Reihe von Anschlägen der Algerienkrieg.
1956 werden Marokko und Tunesien in die Unabhängigkeit entlassen, 1958 Guinea
und 1960 der Rest der französischen Kolonien in Afrika. Die Verträge von Evian,
durch die Algerien unabhängig wird, folgen erst 1962. Im
FLN gibt es schon zu Zeiten des Befreiungskrieges zwei Fraktionen, eine eher
internationalistisch und links orientierte, die ab 1956 die Mehrheit bildet und
mit der Fanon verbunden ist, die aber 1961 von einer anderen Fraktion abgelöst
wird, die einen dominant arabisch-moslemischen Staat befürwortet. (Wolter 2001,
S. 142). In der Folge ist die Entwicklung des algerischen Staates immer durch
ein Schwanken zwischen einem links-westlichen und einem arabisch-islamischen Pol
gekennzeichnet (das Folgende nach El-Kenz 1995). Algerien ist von 1962 an ein
Einparteienstaat, 1962 übernimmt Ben Bella die Macht, während im Hintergrund
schon der Militär (Kommandant der Grenztruppen) Houari Boumediennes die Fäden
zieht. Der setzt sich 1965 durch einen Putsch an die Spitze eines
Revolutionsrates und bleibt bis zu seinem Tod 1978 algerischer Staatschef. Der
Staat kann auf eine verhältnismäßig intakte Infrastruktur aufbauen und die
Einkünfte aus dem Erdöl- und Erdgasgeschäft funktionieren als Motor der
Entwicklung. Trotz scheinbarer Richtungswechsel werden immer beide Strömungen
des FLN berücksichtigt, die Gruppe der Ulemas bestimmt den Bildungs- und
Kulturapparat, der Teil, der links orientiert ist, bekommt die übrigen
Ressorts, insbesonders die wichtigen für den ökonomischen Aufbau (Wirtschaft,
Finanzen). Die Gesellschaft wird nur teilweise modernisiert, in wichtigen
Bereichen bestehen die traditionalistisch-patriachalen Strukturen weiter. Ab
1980 entwickeln sich soziale Bewegungen zur Öffnung des Staates, Streiks nehmen
zu, es bilden sich Gewerkschaften, Menschenrechts- und Frauengruppen, im „Frühling
der Berber“ wird eine Aufwertung der berberischen Kultur und der Sprache gegenüber
der arabisch-islamischen Dominanz gefordert. Diese Bewegungen verändern
teilweise die Gesellschaft, erreichen aber keine Öffnung des Staates. Die
Jahre 1986-1987 sind vom Sturz der Erdölpreise, wirtschaftlichen Problemen und
dem Anstieg der Erwerbslosigkeit gekennzeichnet. Im Herbst 1988 kommt es zu den
Griesmehlunruhen, die in erster Linie gegen die hohen Lebensmittelpreise
gerichtet sind. Die aktivsten Teile der militanten Bewegung sind die
Jugendlichen und die Erwerbslosen aus den Vorstädten. Regierungs- und
Parteigebäude, aber auch Luxushotels werden angezündet, einige hundert Aufständische
werden getötet, viele andere gefangen genommen und gefoltert. Die Antwort des
Regimes ist zuerst Repression und dann Demokratisierung, die Auflösung der
Einparteienherrschaft. Bei einem Referendum im Februar 1989 stimmen 73% der
Wahlberechtigeten für eine Verfassung mit bürgerlichen Grundrechten wie
Zulassung von Parteien, Streikrecht etc. Allerdings profitieren davon in der
Folge nicht linke und emanzipatorische Kräfte, sondern die IslamistInnen. Im
Juni 1990 gewinnt der FIS (Front Islamique du Salut / Islamische Heilsfront) die
Gemeindewahlen, die Regierung zögert die Parlamentswahlen bis zum Dezember 1991
hinaus, die dann doch der FIS gewinnt. Noch vor dem zweiten Wahlgang im Jänner
1992 putscht das Militär und der HCE (Haut Comité d´État / Hohes
Staatskomitee) übernimmt die Macht. Die IslamistInnen beginnen den bewaffneten
Kampf und können in einer ersten Phase deutliche Erfolge feiern. Die Hoffnung
großer Teile der Bevölkerung auf eine Niederlage der Diktatur durch den
Islamismus zerschlägt sich nach wenigen Jahren. Teilweise werden die
bewaffneten Gruppen vernichtet, teilweise werden sie integriert und bewirken
eine weitere Islamisierung des Staates. Andere Teile arrangieren sich mit den
Repressionsorganen oder verkommen zu unpolitischen Banden, die eine Region
kontrollieren. (vgl. Martinez 1996). Der noch bestehende GIA (Groupe Islamiste
Armé/ Bewaffnete Islamische Gruppe) ist von den staatlichen Organen
unterwandert, die brutalsten Überfälle finden häufig in der Nähe von Polizei
und Militär statt. Eine
relativ wichtige Rolle spielen immer wieder Frauenbewegungen mit verschiedenen
Strömungen (von feministisch und marxistisch orientierten bis hin zu
Islamistinnen), die in den 1970ern entstehen, aber auch danach immer wieder ins
gesellschaftliche Leben eingreifen (nach Hanoune / Mouffok 1997). So spielen sie
in den Bewegungen nach 1980 eine große Rolle, hauptsächlich geht es dabei um
den Kampf um das Familienrecht, das die Frauen vom Rechtsstatus der Männer abhängig
macht. Erste Versuche, die Unterdrückung der Frauen zu verrechtlichen, können
verhindert werden, aber durch die Abschwächung der Bewegung wird das Gesetz
1984 eingeführt. Die Stärke der IslamistInnen nach der Revolte 1988 verhindert
eine weitere Diskussion. Das Regime instrumentalisiert zwar die „Emanzipation
der Frauen“ im Kampf gegen den Terrorismus, aber es macht keine Anstalten, das
reaktionäre Familienrecht abzuschaffen. Erst
2001 scheint es wieder eine stärkere Bewegung außerhalb der Frontstellung
zwischen Diktatur und Islamismus zu geben. Ausgehend von den Berbergebieten
erscheint eine militante Jugendrevolte gegen den korrupten Staat auf der Bildfläche.
Bezeichnenderweise ist eine der Forderungen der Revoltierenden die Abschaffung
des reaktionären Familienrechts. Zwar wird vom Staat versucht, die
Auseinandersetzungen in eine ethnische Richtung zu lenken, indem
arabisch-sprachige ProvokateurInnen auf die Demonstration der BerberInnen
losgeschickt werden. Trotzdem hat sich diese Revolte auch außerhalb der
berberischen Siedlungsgebiete ausgebreitet (Schmidt 2001). Literatur:
Balibar,
Etienne (1981): Der Widerspruch hat die Grenzen des Erträglichen überschritten!
Die KPF zwischen Internationalismus und Chauvinismus. In: Prokla 43, S.
147-160. Elsenhans,
Hartmut (1974): Frankreichs Algerienkrieg. Entkolonisierungsversuch einer
kapitalistischen Metropole. München. Fanon,
Frantz (1981): Die Verdammten dieser Erde. Vorwort von Jean-Paul Sartre.
Frankfurt a. Main. (VdE) Fanon,
Frantz (1985): Schwarze Haut, weiße Masken. Frankfurt am Main. (SHWM) Fanon,
Frantz (2001): Afrika im Werden. Politische Notizen für eine afrikanische
Revolution. In: Jungle World 32,
1.8.2001 Supplement, S. 3-4. Hardt,
Michael, Negri, Antonio (2000): Empire. Cambridge (Mass.). Hegel,
Georg Wilhelm Friedrich (1986): Phänomenologie des Geistes. Frankfurt am
Main. Hobsbawm,
Eric (1994): Age of Extremes. The Short Twentieth Century 1914-1991.
London. hooks,
bell (1996): Feminism as a Persistent Critique of History: What´s Love Got to
do with it? In: Read (Hg): The Fact of Blackness. London, S.
76-85. Kojève,
Alexandre (1975): Hegel: Eine Vergegenwärtigung seines Denkens. Kommentar
zur Phänomenologie des Geistes. Frankfurt am Main. Leggewie,
Claus (1984): Kofferträger. Das Algerien-Projekt der Linken im
Adenauer-Deutschland. Berlin. Wolter,
Udo (2001): Das obskure Subjekt der Begierde. Frantz Fanon und die
Fallstricke des Subjekts der Befreiung. Münster. El-Kenz
Ali (1995): Algerien – die zwei Paradigmen. Politischer Islam und
Nationalstaat. In; Die Beute 1/95, S.74-84. Hanoune,
Louisa, Mouffok, Ghania (1997): Terroristen fallen nicht vom Himmel. Zur
aktuellen Situation in Algerien. Zürich. Martinez,
Luis (1996): Die Kriegsökonomie der Maquisards. Lokale Macht, Aneignung und
Djihad in Algerien. In; Die Beute 3/96, S 8-23.. Schmid,
Bernhard (2001): Ein Land in Aufruhr. Algerien: Soziale Proteste erschüttern
das Regime. In: ak 452.
[i] Petit-nègre ist eine vereinfachte Form der französischen Sprache, die von Bewohnern des Mutterlandes gesprochen wird, wenn sie mit „Negern“ sprechen, wodurch sie die intellektuellen Fähigkeiten der Angesprochenen entwerten. Es ist vergleichbar mit dem GastarbeiterInnendeutsch, das auch nichts mit der wirklichen Sprechweise der MigrantInnen zu tun hat, sondern eine Projektion von InländerInnen ist. [ii] Hier zeigt sich die unterschiedliche Bewertung männlicher und weiblicher Subjekte, der schwarze Mann wird mit Kultur in Verbindung gebracht, die schwarze Frau mit Natur und Körperlichkeit. Mehr dazu aber später. [iii] „Er“ könnte sich hier auf den „Neger“ wie auch auf Frantz Fanon beziehen, einerseits weil die spätere Beteiligung am Befreiungskampf in Algerien der persönliche Ausweg aus dem Nichtkämpfen war, andererseits weil es tatsächlich hauptsächlich um die Befreiung des männlichen Subjekts geht. [iv] Die Herr-Knecht-Dialektik bezieht sich so stark auf männliche Subjekte, daß es mir schwer gefallen ist, eine geschlechtsneutrale Schreibweise anzuwenden. [v] 1954 wurde eine französische Interventionsarmee bei Dien Bien Phu von einer vietnamesischen Guerillarmee vernichtend geschlagen, was zur Unabhängigkeit Vietnams und die Teilung in ein kommunistisches Nordvietnam und ein westliches Südvietnam führte. [vi] Das bezieht sich konkret auf Algerien, wo der FLN ab 1956 den Radiosender „Stimme des freien Algerien“ betreibt. [vii] Während Fanon durch die Gewalt die Dialektik wieder in Bewegung bringen will, indem statt der Arbeit die Gewalt das vermittelnde Element wird, wobei Gewalt dann wieder als Arbeit gesehen wird, interpretieren Hardt / Negri (2000) diesen Schritt als außerhalb jeder Dialektik stehend, weil Gewalt nur antagonistisch ist: For both Fanon and Malcolm X, however, this negative moment, this violent reciprocity, does not lead to any dialectical synthesis; it is not the upbeat that will be resolved in a future harmony. (S. 132) [viii] Innerhalb der Linken ist die Angst vor der Drohung eines Faschismus gestiegen, einerseits verursacht durch den Terror der OAS, einer Geheimorganisation der AlgerienfranzösInnen, andererseits durch das Massaker vom 17.10.1961: Bei einer Demonstration von algerischen MigrantInnen in Paris wurden hunderte Menschen von der Polizei erschlagen und in die Seine geworfen.. Erst danach gibt es Massendemonstrationen der Linken, vorher war die Unterstützung auf Linksradikale und einzelne Intellektuelle beschränkt. Erst vierzig Jahre danach wird eine Gedenktafel für die Getöteten enthüllt, so wie erst seit einigen Jahren über die Folter diskutiert wird, die Frankreich gegen die Unabhängigkeitsbewegungen anwendete. (NZZ 18.10.2001, vgl. auch Balibar 1981) [ix] Die postkoloniale Theorie knüpft an die Postmoderne an, die Eindeutigkeiten, Identitäten und Essentialismen kritisiert. So wird der Manichäismus, das Schwarzweiß-Denken des Kolonialismus / Imperialismus und seiner Gegenbewegungen in Frage gestellt. Nicht zufälligerweise handelt es sich bei den meisten VertreterInnen der postkolonialen Theorie um intellektuelle MigrantInnen aus dem Trikont. Im Gegensatz zum eindeutigen (meist nationalistischen) Subjekt eines Antiimperialismus erkennen sie die positiven Elemente eher in der Hybridität, der Vermischung, der Nicht-Eindeutigkeit. Sie wehren sich gegen die Verherrlichung irgendwelcher „ursprünglicher“ Kulturen und beziehen sich auf die „Hybridkultur“ der MigrantInnen. [x] Wolter zitiert die Feministin bell hooks (1996): Feminism as a persistent critique of history: What´s love got to do with it? In: Read (Hg): The Fact of Blackness.London. Die männerbündische revolutionäre Organisierung sei „...the bonding of a select group of enlightened intellectual men, linked by a shared vision.“ (Wolter 2001, S. 60) [xi] In der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts hat die agrarische Bevölkerung massiv abgenommen (Hobsbawm 1994, S. 289-295) und das gilt nicht nur für die industrialisierten Länder, sondern auch für den Trikont (in Algerien z.B. hat sich die im agrarischen Bereich tätige Bevölkerung seit der Unabhängigkeit von 75% auf 20% verringert, Hobsbawm 1994, S. 291). Das erstemal in der bekannten Geschichte der Menschheit lebt nur mehr eine Minderheit der Bevölkerung auf dem Land. [xii] Negri / Hardt (2000) schlagen ein Modell vor, das die Vielfalt der Wünsche und Bedürfnisse einer „Multitude“ nicht unterdrückt, trotzdem aber zu einer revolutionären Gemeinsamkeit der Ausgebeuteten und Unterdrückten kommen will. Die Repräsentation bedeutet Vereinheitlichung, Abstraktion und Kontrolle. The entire logical chain of representation might be summarized like this: the people representing the multitude, the nation representing the people, and the state representing the nation. […] Representation in each case means a further step of abstraction and control. From India to Algeria and Cuba to Vietnam, the state is the poisened gift of national liberation. Hardt / Negri (2000), S. 134.
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